ergänzt 2. Juni 2021
Das erbrechtliche Instrument der Vorerbschaft/Nacherbschaft ist kompliziert und kann auch für viel Streit sorgen. Deswegen sollte man Vorerbschaft und Nacherbschaft (https://www.erbrecht-anwalt-leipzig.de/vorerbschaft-und-nacherbschaft-im-testament) im Testament nur anordnen, wenn damit ein bestimmtes Ziel erreicht werden soll. Ein solches erbrechtliches Ziel kann die Reduzierung von Pflichtteilsansprüchen, zum Beispiel von ungeliebten Kindern, sein.
Hier nutzt man den Vorteil, dass Vermögen, das der Verstorbene nur als Vorerbe besessen hat, bei der Berechnung des Pflichtteils nicht dazu zählt. Der Pflichtteil berechnet sich nur aus dem eigenen Vermögen des Verstorbenen ohne das Vorerbe.
Wie der Pflichtteil zu berechnen ist, regelt § 2311 BGB:
„Der Berechnung des Pflichtteils wird der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt.“
Das ergibt sich aus folgenden Überlegungen:
Bei einer Vor- und Nacherbschaft bleiben das Vermögen, das der Erblasser nur als Vorerbe besitzt und sein Eigenvermögen getrennt. Hinsichtlich des Vorerbes ist der Vorerbe nur eine Art „ Treuhänder“, es gehört ihm nicht (richtig). Er hat wirtschaftlich die Stellung eines Nutzungsberechtigten auf Zeit. Er kann aber insbesondere die Nachlasssubstanz des Vorerbes nicht als eigenes Vermögen vererben. Das Vorerbe geht mit Eintritt des Nacherbfalls auf den vorgesehenen Nacherben über, § 2139 BGB.
Daraus ergibt sich, dass der Pflichtteil auch nur aus dem Eigenvermögen des Erblassers berechnet wird.
Beispiel: Anna und Benno sind verheiratet und haben zwei Kinder Christian und Daniel. Anna war schon einmal verheiratet und hat aus dieser ersten Ehe ebenfalls ein Kind, Elisa. Das Vermögen von Benno beträgt 1 Mio. Euro. Anna besitzt hingegen nur 120.000 Euro. Anna und Benno errichten ein gemeinsames Testament. In diesem Testament setzen sich die Eheleute gegenseitig als alleinige Vorerben ein. Gleichzeitig bestimmen sie, dass Nacherben die Kinder Christian und Daniel sein sollen. Nach dem Tod von Benno erbt Anna als Vorerbin das komplette Vermögen von Benno. Nach einiger Zeit stirbt auch Anna. Ihr Kind Elisa macht jetzt Pflichtteilsansprüche geltend, da sie in dem Testament von der Erbfolge nach ihrer Mutter ausgeschlossen ist. Der Pflichtteil von Elisa berechnet sich nur aus dem Nachlass von Anna in Höhe von 120.000 Euro. Das Vermögen von Benno hat Anna nur als Vorerbin geerbt. Über dieses Vermögen konnte sie nie frei verfügen, sie konnte es daher auch nicht vererben. Dieses Vermögen hat somit nichts mit dem Pflichtteil der Tochter zu tun. Das von Benno geerbte Vermögen in Höhe von 1 Mio. Euro war bei Anna zu deren Lebzeiten nur ein Sondervermögen. Dieses Sondervermögen ist mit dem Tod von Anna, dem so genannten Nacherbfall an die Kinder Christian und Daniel übergegangen. Der Pflichtteil der Tochter Elisa berechnet sich alleine auf Grundlage des von der Vor- und Nacherbschaft nicht betroffenen Eigenvermögens von Anna. Ausgangspunkt für die Berechnung ist die gesetzliche Erbfolge: Danach würden alle drei Kinder von Anna 1/3 erben. Der Pflichtteil beträgt die Hälfte, Elisa bekommt somit 1/6 vom Nachlass, 120.000 Euro, also 20.000 Euro. Fazit: In "Patchwork"-Familien ist die Vor- und Nacherbschaft bei der gegenseitigen Erbeinsetzung der Eltern ein nützliches Intstrument und eine Alternative zur - oft nicht gewünschten - kompletten Enterbung des Ehepartners.
Achtung Steuerfalle: Hinsichtlich der Erbschaftsteuer führt die Vor-Nacherbfolge wie im Beispiel oben beschrieben zur doppelten Besteuerung des gleichen Vermögens, § 6 Absatz 1, 2 ErbStG und es gibt weitere steuerliche Besonderheiten.
Wegen dieser Doppelbesteuerung ist die zivilrechtlich sinnvolle Vorerbschaft bei größeren Vermögen oft nicht der richtige Weg.