Die meisten Ehepaare schließen keinen Ehevertrag. Sie vereinbaren somit keinen besonderen Güterstand und leben damit im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft.
Die Zugewinngemeinschaft führt erbrechtlich zu einem höheren Erbanteil für den überlebenden Ehegatten.
Wenn es kein Testament gibt, erbt dann der überlebende Ehegatte kraft Gesetzes die Hälfte. Die andere Hälfte bekommen im Normalfall die Kinder, als Verwandte erster Ordnung.
Beispiel: Die verstorbene Ehefrau hinterlässt den Witwer und eine Tochter. Der Witwer erbt 1/4 +1/4, insgesamt also 1/2. Die andere Hälfte erbt die Tochter.
1/4 des Erbteils, den der Witwer bekommt, ist ein Zuschlag, der den während der Ehe erwirtschafteten Zugewinn ausgleichen soll. Der Zuschlag wird pauschal gewährt, auch wenn die Eheleute in der Ehe keinen Zugewinn erzielt haben. (Zum Nachlesen: 1/4 aus § 1931 Abs. 1 BGB und das weitere 1/4 pauschaler Zugewinn aus § 1931 Abs 3 BGB und § 1371 Abs. 1 BGB.)
War der Zugewinn aber höher als 1/4 des Nachlasses, kann im Einzelfall der Zugewinnausgleich günstiger sein, als das pauschale Viertel. Der überlebende Ehegatte kann dann die Erbschaft ausschlagen und von den Erben den konkreten Zugewinnausgleich und den so genannten „kleinen“ Pflichtteil verlangen.
Der Pflichtteil entspricht der Hälfte des Erbteils. In diesem Fall wird der pauschale Zugewinn von 1/4 zur Berechnung des Pflichtteils aber nicht berücksichtigt – deshalb auch „kleiner“ Pflichtteil. Dieser beträgt also 1/8 des Nachlasses. Vom Nachlass ist vor der Berechnung des Pflichtteils der Zugewinnausgleich als Nachlassverbindlichkeit abzuziehen.
Der überlebende Ehegatte bekommt somit den rechnerisch ermittelten Zugewinnausgleich plus 1/8 Pflichtteil.
Exkurs: Wie funktioniert der Zugewinnausgleich?
Der Zugewinn eines Ehegatten ist das, was die Differenz zwischen seinem Anfangs- und seinem Endvermögen ausmacht. Das Anfangsvermögen ist das Vermögen, das ein Partner jeweils in die Ehe mitbringt. Der Tag der Eheschließung ist der Stichtag zur Bestimmung der Höhe des Anfangsvermögens.
Wenn die Ehe durch den Tod eines der Ehegatten endet, ist das Endvermögen eines Ehepartners das Vermögen zum Todestag.
Die Berechnung des Zugewinnaugleichs erfolgt in drei Schritten:
1. Ermittlung des Zugewinns der Ehefrau (Endvermögen minus Anfangsvermögen der Ehefrau)
2. Ermittlung des Zugewinns des Ehemannes (Endvermögen minus Anfangsvermögen des Ehemannes)
3. Berechnung der Höhe des Ausgleichs: Ist der Zugewinn eines Partners höher, ist die Differenz zwischen dem höheren und dem niedrigeren Zugewinn zu ermitteln. Die Hälfte davon steht dem Partner mit dem geringeren Zugewinn als Zugewinnausgleich zu.
Beispiel: Ein Ehemann stirbt. Es gab keinen Ehevertrag. Zugewinn des Ehemannes = 60.000 EUR (sein Vermögen bei Eheschließung war Null, am Todestag hat er ein Aktiendepot und ein Girokonto mit einem Gesamtwert von 60.000 EUR) Zugewinn der Ehefrau = 20.000 EUR (ihr Vermögen bei Eheschließung war ebenfalls Null, am Todestag ihres Mannes hat sie 20.000 Euro auf dem Konto) Differenz der Zugewinne = 40.000 EUR Die Hälfte der Differenz, also 20.000 EUR, steht der Frau als Zugewinnausgleich zu.
Wann lohnt es sich für den Ehegatten auszuschlagen?
Die Ausschlagung lohnt sich, wenn der Zugewinnausgleich für den überlebenden Ehepartner und der „kleine“ Pflichtteil in der Summe größer sind, als der halbe Nachlass.
Formel: Zugewinnausgleich + 1/8 des Nachlasses (gekürzt um Zugewinnausgleich) > 1/2 des Nachlasses
Für den überlebenden Ehepartner kann es sich lohnen das Erbe auszuschlagen, um den Zugewinnausgleich und den „kleinen“ Pflichtteil zu erhalten, falls der verstorbene Partner einen deutlich höheren Zugewinn in der Ehezeit hatte, als der überlebende.
Beispiel - Die Ausschlagung lohnt sich nicht:
Der verstorbene Ehemann hinterlässt eine Witwe und eine Tochter. Sein Nachlass beträgt 100.000 EUR. Der Zugewinn des Mannes beläuft sich auf 60.000 EUR. Der Zugewinn der Frau beträgt 20.000 EUR. Der Zugewinnausgleich läge damit bei 20.000 EUR.
- Wenn die Witwe das Erbe annimmt, erhält sie die Hälfte des Nachlasses, also 50.000 EUR.
- Schlägt sie das Erbe aus, erhält sie den Zugewinnausgleich von 20.000 EUR und 1/8 des Nachlasses, von dem zuvor der Zugewinnausgleich abgezogen wird.
100.000 EUR - 20.000 EUR = 80.000 EUR
1/8 von 80.000 EUR = 10.000 EUR.
Die Witwe bekäme also insgesamt 30.000 EUR.
Fazit: Die Ausschlagung lohnt sich nicht.
Beispiel - Die Ausschlagung lohnt sich: Der verstorbene Ehemann hinterlässt eine Witwe und eine Tochter. Sein Nachlass beträgt 160.000 EUR. Der Zugewinn des Mannes beläuft sich auf 160.000 EUR. Der Zugewinn der Frau beträgt 0,00 EUR. Der Zugewinnausgleich läge damit bei 80.000 EUR. - Nimmt die Witwe das Erbe an, erhält sie die Hälfte des Nachlasses, also 80.000 EUR - Schlägt sie das Erbe aus, erhält sie den Zugewinnausgleich von 80.000 EUR und 1/8 des Nachlasses, von dem zuvor der Zugewinnausgleich abgezogen wird. 160.000 EUR - 80.000 EUR = 80.000 EUR 1/8 von 80.000 EUR = 10.000 EUR. Die Witwe bekäme dann im Ergebnis 90.000 EUR. Fazit: Die Ausschlagung lohnt sich.
Beraterhinweis: Vor der Ausschlagung ist zu bedenken, dass auf die Zugewinnausgleichsforderungen des Ehegatten die Zuwendungen angerechnet werden, die ein Ehegatte vom anderen Ehegatten mit der Bestimmung der Anrechnung nach § 1380 Abs. 1 S. 1 BGB erhalten hat. Problematisch ist vor allem die Zweifelsregel § 1380 Abs. 1 S. 2 BGB. Danach sind im Zweifel – also wenn es nicht ausdrücklich anders geregelt ist – alle Zuwendungen, die den Wert von Gelegenheitszuwendungen übersteigen, anzurechnen.
Eine rechtssichere Prognose, ob eine Anrechnung erfolgen muss, ist dadurch erschwert, weil nicht alle kostenlosen Zuwendungen unter Eheleuten sogenannte ehebedingte Zuwendungen sind. Ob echte Schenkungen, die also nichts mit der Ehe zu tun haben (wie auch immer man das abgrenzt) unter diese Anrechnungsregel fallen, ist umstritten, vgl. Palandt 2015 § 1380 Rn. 3.
Update 2017: In der Auflage des Palandt 2017 aber klar ja. Man wird wohl davon ausgehen müssen, dass Schenkungen im Grundsatz anzurechnen sind, so auch MüKo-Koch 2017, § 1380 Rn.2.
Beispiel: Hat der Ehemann seiner Frau zum 50. Geburtstag das tolle Cabrio „geschenkt“, dass sie sich immer gewünscht hat und wurde die Anrechnung auf den Zugewinn nicht ausgeschlossen, könnte dieses Geschenk den Ausschlag geben, das Erbe nicht auszuschlagen und lieber den pauschalen Zugewinnausgleich zu nehmen.
Für die erbrechtliche Beratung ist es daher wichtig, darauf hinzuweisen, bei Zuwendungen unter Ehegatten nicht nur eine mögliche Anrechnung auf Erb- oder Pflichtteilsansprüche, sondern auch die Anrechnung auf den Zugewinn ausdrücklich zu regeln. Soll eine solche Regelung nachträglich getroffen werden, bedarf das der notariellen Form, MüKo-Koch 2017, § 1380 Rn.3.
Fazit: Stirbt ein Ehepartner und haben die Eheleute im gesetzlichen Güterstand der Zugewinngemeinschaft gelebt, kann es je nach Höhe des Zugewinns und nach Höhe des Nachlasses, für den überlebenden Ehegatten günstiger sein, das Erbe auszuschlagen und von den Erben den Zugewinnausgleich und den "kleinen" Pflichtteil zu verlangen.
Achtung: Der Zugewinnausgleich ist vor der Berechnung des „kleinen“ Pflichtteils vom Nachlass als Nachlassschuld abzuziehen.
Die Ausschlagung lohnt sich dann, wenn der Zugewinnausgleich mehr als 3/7 des Nachlasses beträgt.
Haben Sie Fragen zum Erbrecht unter Ehegatten? Wir beraten Sie gern.
Rechtsanwalt Alexander Grundmann in Leipzig
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