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17. November 2022 – Streit um digitalen Nachlass – Der Facebook-Fall im Überblick

Im so genannten „Facebook-Fall“ ging es um den Facebook – Account eines jungen Mädchens, das 2012 in Berlin tödlich verunglückte. Die Eltern wollten nun Zugang zum Facebook – Account ihrer Tochter haben. Die Mutter verklagte Facebook, auf Herausgabe des Zugangs an die Eltern als Erbengemeinschaft der verstorbenen Facebook-Nutzerin. [Die Details des Sachverhalt finden Sie hier.]

Der Rechtsstreit hat auch unter Juristen, vor allem Erbrechtlern, viel Aufmerksamkeit gefunden, weil der BGH grundsätzliche Fragen zum digitalen Nachlass entscheiden musste. Im Kern ging es darum, ob die Regelungen des BGB zum Erbrecht für Digitales reichen oder wir neue gesetzliche Regelungen brauchen.

Der Fall hat außerdem eine Diskussion unter Erbrechtlern angestoßen, wie man für seinen digitalen Nachlass am besten vorsorgt und dass man die Mandanten dafür sensibilisieren muss.

Der „Facebook-Fall“ ist jedenfalls die beste „Werbung“ dafür, sich zu Lebzeiten mit digitalem Vermögen, das ja später zu digitalem Nachlass wird, zu beschäftigen. Regelt man das gut, hilft das langjährige kostspielige Prozesse zu vermeiden.

Der Streit zog sich über fünf Jahre. Das lag daran, dass der Streit zweimal durch alle Gerichtsinstanzen ging, jeweils mit Start beim Landgericht Berlin, dann zum Kammergericht Berlin und am Ende zum Bundesgerichtshof (BGH).

In der ersten Runde ging es darum, zu einem Urteil in der Sache zu kommen. In der zweiten Runde wurde über die Auslegung des Urteils im Rahmen der Zwangsvollstreckung gestritten.

Der Facebook-Fall im Überblick:

  • Landgericht Berlin – Urteil vom 17.12.2015 – 20 O 172/15 – Vertrag über Benutzerkonto bei sozialem Netzwerk ist vererblich
  • Landgericht Berlin – Beschluss vom 31.07.2016 – 20 O 172/15 – Festsetzung von Ordnungsmitteln
  • Kammergericht Berlin – Urteil vom 31.05.2017 – 21 U 9/16 – Vertrag mit Facebook ist nicht vererblich – kein Zugriff der Eltern
  • Kammergericht – Beschluss vom 31.05.2017 – 21 W 23/16 – Aufhebung der Festsetzung von Ordnungsmitteln nach Abweisung der Klage in der Berufungsinstanz
  • BGH, 12.07.2018 – III ZR 183/17 – Landgericht Berlin bestätigt = Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren

Facebook gibt den Eltern daraufhin einen USB-Stick mit Dokumenten, die den Account abbilden.

Vollstreckungsverfahren

  • Landgericht Berlin – Beschluss vom 13.02.2019 – 20 O 172/15 – Zwangsgeld von 10.000 €
  • Kammergericht Berlin – Beschluss vom 03.12.2019 – 21 W 11/19 – auf sofortige Beschwerde von Facebook hat das Kammergericht den Beschluss des Landgerichts aufgehoben
  • BGH – Beschluss vom 27.08.2020 – III ZB 30/20
  • BGH, 09.09.2020 – III ZB 30/20

Der Facebook-Fall im Einzelnen

Urteil in der Sache – Eltern haben Zugriff

Das Landgericht Berlin gab der Mutter, die für die Erbengemeinschaft gegen Facebook klagte, Recht. Das Kammergericht hob die Entscheidung auf, ließ aber die Revision zum BGH wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache zu.

Im Urteil vom 12.07.2018 – III ZR 183/17 hat der BGH bestätigt, dass ein Vertrag über ein Benutzerkonto bei einem sozialen Netzwerk vererblich ist.

Beim Tod des Kontoinhabers eines sozialen Netzwerks geht nach § 1922 Abs. 1 BGB der Nutzungsvertrag auch auf die Erben über. Weder das postmortale Persönlichkeitsrecht noch das Fernmeldegeheimnis oder das Datenschutzrecht stehen dem entgegen.

Der Tenor der Entscheidung des Landgerichts Berlin, der vom BGH bestätigt wurde:

„Die Beklagte wird verurteilt, der Erbengemeinschaft nach Xxxx, bestehend aus Frau Uta Xxxx und Herrn Xxxx, Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto und den darin vorgehaltenen Kommunikationsinhalten der verstorbenen Xxxx bei dem sozialen Netzwerk Xxxx unter den Nutzerkonto "xxxx" zu gewähren.“

Damit schien die Rechtsfrage beantwortet und der Fall erledigt.

Was bedeutet „Zugang“ Streit durch alle Instanzen in der Zwangsvollstreckung

Der Streit ging in die nächste Runde: Im Rahmen der Vollstreckung des Urteils musste der gesamte Instanzenzug und am Ende nochmal der BGH erneut zum Umfang des Erbrechtes und der Universalsukzession entscheiden.

Facebook hat nach der Verurteilung den Eltern nur einen USB-Stick mit mehr als 14.000 Seiten nur in Englisch zu durchsuchenden PDF-Dokumenten übersandt. Facebook meinte, dass damit der ausgeurteilte Anspruch erfüllt sei.

Der Mutter reichte das nicht und sie ging im Wege der Vollstreckung des Urteils gegen Facebook vor und beantragte die Festsetzung eines Zwangsgelds.

Die Gerichte mussten den Tenor des Urteils auslegen und darüber entscheiden, was Facebook liefern muss.

Zu klären war: Was bedeutet „Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto …zu gewähren“?

Wie schon in der ersten Runde bekam die Mutter beim Landgericht Berlin recht, beim Kammergericht Berlin wieder nicht und der BGH bestätigte am Ende das Landgericht Berlin.

Das bedeutet: Facebook muss den Zugang zum Konto der verstorbenen Nutzerin für die Eltern öffnen.

Der Anspruch, den der BGH in der ersten Runde gegeben hat, beinhaltet den vollen Zugang zum Nutzerkonto der Tochter. Es reicht nicht aus, wenn Facebook den Eltern nur eine Datei mit 14.000 Seiten Inhalt des Nutzerkontos übergibt.

Das Landgericht Berlin schreibt dazu in seinem Beschluss in Rn. 2:

„Übergabe eines USB-Sticks ist keine Zugangsgewährung im Sinne der Verurteilung. "Zugang gewähren" bedeutet, dass die Schuldnerin das zu tun hat, damit es der Gläubigerin möglich ist, den Inhalt des Benutzerkontos so zur Kenntnis zu nehmen, wie es eine Person täte, die sich bei ihr mit ihrem Kennwort anmeldet. Der Gläubigerin ist nicht nur Zugang zu den im Benutzerkonto vorgehaltenen Kommunikationsinhalten zu gewähren, sondern auch zu dem vollständigen Benutzerkonto.“

Der BGH sagte dazu in Rn. 11:

„Der Zugang zu dem vollständigen Benutzerkonto beinhaltet die Möglichkeit der Gläubigerin, vom Konto und dessen Inhalt auf dieselbe Art und Weise Kenntnis nehmen zu können, wie dies die Erblasserin konnte. Das bedeutet, dass sich die Gläubigerin in dem Benutzerkonto - mit Ausnahme einer aktiven Nutzung - so "bewegen" können muss wie zuvor die Erblasserin selbst.“

Dieser Gedanke ergibt sich auch aus der Erwägung, dass die Erben nach dem Grundsatz der Universalsukzession (§ 1922 BGB) in die Rechtstellung des Erblassers eintreten. Damit müssen die Erben den Account des Verstorbenen aber auch so einsehen können, wie es der Verstorbene konnte.

Auch der sogenannte Gedenkzustand, in den ein Facebook-Konto nach dem Tod des Nutzers versetzt wird, steht nicht entgegen. Dieser kann von Facebook selbst aufgehoben werden. Facebook kann das Benutzerkonto auch umbenennen oder auf andere Weise gegenüber den Nutzern des Netzwerks kenntlich machen, dass das Konto nicht mehr von der toten Tochter, sondern von ihren Erben genutzt wird.

Facebook hatte auch argumentiert, dass bei Übergabe der Zugangsdaten die Gefahr besteht, dass die Eltern das Facebook-Konto selbst aktiv nutzen.

Der BGH meinte dazu, dass Facebook einen „read only“-Zugang einrichten kann. Es sei aber auch gar nicht zu befürchten, dass die Eltern in der Folge das Konto weiter (selbst aktiv) nutzen würden.

Fazit:  Das Verfahren lief über fünf Jahre. Das Verfahren war für die klagende Mutter auch ein hohes finanzielles Risiko.
Der Fall zeigt, dass es sinnvoll ist, seinen Erben so etwas zu ersparen und sich zu Lebzeiten mit seinem digitalen Vermögen zu beschäftigen. Es besteht bei Facebook die Möglichkeit Vorbereitungen zu treffen, indem man in den Kontoeinstellungen einen Nachlasskontakt auswählt.

PS: Einen sehr ähnlichen Fall gab es hier: OLG Karlsruhe, Beschluss vom 29.10.2020 – 9 U 1/19. Der Facebook-Fall des BGH stellt somit kein Einzelfallproblem dar.



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