12. Februar 2015
Ein behindertes Kind bezieht in der Regel Sozialleistungen.
Wenn Sie ein behindertes Kind haben, möchten Sie, dass Ihr Kind auch nach Ihrem Tod über den Sozialhilfestandard hinaus Mittel zur Verfügung hat, die seinen Lebensstandard verbessern. Berechtigtes Ziel ist es auch, dass das Familienvermögen erhalten bleibt und das Erbe nicht dem Staat zufließt.
Diese Ziele erreichen Sie durch eine vorausschauende erbrechtliche Gestaltung im Rahmen eines durchdachten Behindertentestaments.
Durch ein Testament weicht man von der gesetzlichen Erbfolge und den daraus resultierenden unerwünschten sozialhilferechtlichen Auswirkungen ab. Allerdings wäre die naheliegende Enterbung im Testament der falsche Weg, weil dadurch Pflichtteilsansprüche entstehen, die der Sozialhilfeträger auf sich überleiten kann. Deshalb müssen im Testament andere Regelungen getroffen werden.
Im Behindertentestament werden die Ziele durch zwei erbrechtliche Maßnahmen erreicht: Das behinderte Kind wird Erbe, aber nur als Vorerbe. Zusätzlich wird für den Erbteil des behinderten Kindes Testamentsvollstreckung angeordnet. Diese Gestaltung ist ein Reflex auf die Regelungen des Sozialrechts im Zusammenspiel mit dem Pflichtteilsrecht im deutschen Erbrecht.
Warum ist das Pflichtteilsrecht für das Behindertentestament wichtig?
In einem Testament können Sie auch Ihre nächsten Angehörigen enterben. Allerdings haben die nächsten Angehörigen ein zwingendes Pflichtteilsrecht. Damit sichert das deutsche Erbrecht den nächsten Angehörigen eine Mindestbeteiligung am Nachlass. Ergänzt wird das Pflichtteilsrecht durch Pflichtteilsergänzungsansprüche, damit das gesetzliche Pflichtteilsrecht nicht durch lebzeitige Schenkungen, die zu einem wertlosen Nachlass und damit wertlosen Pflichtteilsrecht führen würden, umgangen wird.
Damit hat Ihr Kind bei einer Enterbung ein Pflichtteilsrecht. Enterben Sie Ihr Kind, entstehen Pflichtteilsansprüche, die über das Sozialrecht auf den Träger der Sozialhilfe übergehen können.
Welche Vorschriften im Sozialrecht sind für das Behindertentestament wichtig?
Die testamentarische Gestaltung des Behindertentestaments ergibt sich aus den Regelungen über die Sozialhilfe im SGB XII.
Nachrangprinzip der Sozialhilfe
Nach dem SGB XII bekommen Behinderte Sozialhilfe in Form der Eingliederungshilfe, Hilfe zur Pflege sowie ergänzende Hilfe zum Lebensunterhalt.
Diese Sozialhilfeleistungen sind aber nachrangig. Der Behinderte erhält keine Sozialhilfe, weil er sich durch eigenes Vermögen selbst helfen kann.
Dies gilt auch für Vermögen, das der Behinderte erbt oder beispielsweise als Vermächtnis von Todes wegen erwirbt.
Zu unterscheiden ist, ob die Erbschaft oder ein Vermächtnis vor oder nach Beginn des Leistungsbezugs angefallen ist.
Hat der Behinderte die Erbschaft bekommen, bevor er Sozialhilfeleistungen bezog, gilt die Erbschaft als Vermögen. Solches Vermögen ist bis zur sogenannten Schonvermögensgrenze für den Lebensunterhalt des Hilfebedürftigen aufzubrauchen. Solange aufbrauchbares Vermögen vorhanden ist, besteht kein Sozialhilfeanspruch.
Erbt der Behinderte, nach Beginn des Leistungsbezugs, gilt die Erbschaft als Einkommen, das vorrangig vor der Sozialhilfe eingesetzt werden muss.
Recht auf Überleitung von Vermögen im Sozialrecht
Hat der Sozialhilfeträger bereits Leistungen erbracht, kann er die Übertragung von solchem ererbten Vermögen verlangen. Der Sozialhilfeträger kann insbesondere einen Erbteil verwerten oder einen Pflichtteilsanspruch des Hilfeempfängers auf sich überleiten.
Erbenhaftung nach Sozialrecht
Auch beim Tod des Empfängers von Sozialhilfe kann der Sozialhilfeträger gegen dessen Erben (zum Beispiel dessen Geschwister) einen Kostenersatzanspruch für die Sozialhilfeleistungen, die in den letzten 10 Jahren vor dessen Tod gewährt worden sind, geltend machen (sogenannte sozialhilferechtliche Erbenhaftung, § 102 SGB XII).
Wie funktioniert das Behindertentestament?
Das Behindertentestament zielt darauf ab, das Vermögen, das der Behinderte aus einer Erbschaft erhält, vor dem Zugriff des Sozialhilfeträgers zu schützen.
Das geschieht durch die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft und einer flankierenden Testamentsvollstreckung, weil diese erbrechtlichen Gestaltungsmittel gegenüber Gläubigern, wie hier dem Sozialhilfeträger, Vollstreckungsschutz bieten.
Vorerbschaft des Behinderten
Das behinderte Kind wird nach dem Behindertentestament nur Vorerbe. Bei dessen Tod geht die Vorerbschaft auf den Nacherben über. In einer Familie mit einem behinderten und einem nicht behinderten Kind, ist dann das nicht behinderte Kind der Nacherbe.
Vor- und Nacherbe beerben nacheinander denselben Erblasser bezüglich derselben Erbschaft. Der Nacherbe beerbt somit nicht den Vorerben, sondern den ursprünglichen Erblasser. Damit gibt es auch keinen Nachlass des behinderten Vorerben, aus dem der Sozialhilfeträger Ersatz für geleistete Sozialleistungen verlangen kann.
Beim Tod des Erblassers wird – im ersten Schritt – der eingesetzte Vorerbe für seine Lebenszeit Erbe des Erblassers. Mit dem Tod des Vorerben tritt der Nacherbfall ein. In diesem zweiten Schritt geht das Erbe des ursprünglichen Erblassers automatisch an den Nacherben.
Weil der Vorerbe die Substanz des Nachlasses nicht verbrauchen darf, wird durch die Anordnung der Vor- und Nacherbschaft der Nachlass vorm Gesetz vor der Verwertung durch Gläubiger des Vorerben geschützt, § 2115 BGB und § 773 ZPO. Der Träger der Sozialhilfe kann das erworbene Erbe nicht verwerten.
Zudem wird verhindert, dass ein ererbter Nachlass als eigenes Vermögen des Behinderten bei seinem Tod auf dessen Erben übergeht und damit der Sozialhilfeträger Kostenersatz für geleistete Leistungen verlangen kann.
Nicht befreiter Vorerbe
Ausgestaltet wird die Vorerbschaft beim Behindertentestament als „nicht befreite“ Vorerbschaft. Der „nicht befreite Erbe“ ist von Gesetzes wegen in seiner Verfügung über den Nachlass stark beschränkt:
Er (oder sein Betreuer) kann über ererbte Grundstücke und Häuser nur mit Zustimmung des Nacherben verfügen. Aus dem Nachlass darf auch nichts verschenkt werden.
Die Nichtbefreiung des Vorerben von den Verfügungsbeschränkungen schafft neben der Testamentsvollstreckung eine zusätzliche Sicherung des Nachlassvermögens.
Höhe der Vorerbschaft
Bekommt ein Erbe durch Testament weniger als die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils, hat er Pflichtteilergänzungsansprüche.
Wird dem behinderten Kind im Behindertentestament ein zu geringer Erbteil vererbt, entstehen die Pflichtteilergänzungsansprüche, die der Sozialhilfeträger selbst geltend machen kann.
Daher muss der Erbteil des behinderten Kindes im Behindertentestament größer als die Hälfte des gesetzlichen Erbteils sein.
Testamentsvollstreckung für die Vorerbschaft
Die Anordnung der Testamentsvollstreckung im Behindertentestament verhindert ebenfalls, dass Gläubiger eines Erben Zugriff auf die Verwaltung von Nachlassgegenständen, die der Testamentsvollstreckung unterliegen, erhalten.
Zusätzlich wird durch eine Verwaltungsanordnung im Behindertentestament der Testamentsvollstrecker angewiesen, die Erträge aus dem Vermögen nur in dem Umfang auszukehren, dass der Sozialhilfeträger darauf nicht zugreifen kann. Damit ist der Nachlass nicht nur in seiner Substanz geschützt, sondern auch die Erträge aus dem Nachlass. Ohne die Testamentsvollstreckung mit der Verwaltungsanordnung könnte der Vorerbe über die Erträge der Erbschaft, also Zinsen, Mieten etc., verfügen. Das wäre dann wieder auf die Sozialhilfe anzurechnen.
Der Testamentsvollstrecker sorgt dafür, dass eine Auskehr der Erträge nur in Form von sozialhilferechtlichem Schonvermögen erfolgt.
Als Testamentsvollstrecker sollten Sie eine Person Ihres Vertrauens, bestimmen, der das Amt sinnvoll – auch selbstbewusst gegenüber dem Sozialhilfeträger – ausüben kann. Wird ein Familienmitglied Testamentsvollstrecker, muss vorab geprüft werden, wie mögliche Interessenkonflikte vermieden werden können.
Was kann man zusätzlich zum Behindertentestament noch machen?
Da das Behindertentestament insbesondere wegen des Pflichtteilsrechts notwendig ist, ist in Ergänzung zum Behindertentestament, dass während der Lebzeiten des behinderten Kindes einen Teil des Familienvermögens bindet, an die Reduzierung des Pflichtteilsanspruchs zu denken.
Durch frühzeitige Schenkungen an nicht behinderte Kinder wird Ihr Vermögen und damit auch der mögliche Pflichtteil des behinderten Kindes verringert.
Zu beachten ist hier die zehn-Jahres-Frist für solche Schenkungen. Liegen zwischen Vollzug der Schenkung und dem Erbfall mehr als zehn Jahre, entstehen auch keine sogenannten Pflichtteilsergänzungsansprüche.
Wichtig in diesem Zusammenhang ist, dass die Zehn-Jahres-Frist nur bei solchen Schenkungen zu laufen beginnt, wo ein Vermögensgegenstand wirklich aus dem eigenen Vermögen ausgegliedert wird. Insbesondere bei Grundstücksübertragungen, bei denen der frühere Eigentümer auch nach der Schenkung das Grundstück weiter wie ein Eigentümer nutzen kann, ist dies problematisch.
Gibt es solche Schenkungen, sollte vorsichtshalber im Behindertentestament ein bedingtes Vorausvermächtnis aufgenommen werden, um das Entstehen von Pflichtteilsergänzungsansprüchen zu verhindern.
Gerne berate ich Sie zum Behindertentestament.
Ihr Rechtsanwalt für Erbrecht in Leipzig:
Rechtsanwalt Alexander Grundmann
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