Artikel aktualisiert am 10. Juni 2022 und am 25. September 2024
Das „Berliner Testament“, also ein gemeinsames Testament, bei dem sich die Ehegatten zuerst als Erben und dann gemeinsam die Kinder (oder andere nahestehende Personen) als Erben des Letztversterbenden einsetzen, ist sehr beliebt.
Das Berliner Testament ist wohl vor allem deshalb so beliebt, weil es einfach zu errichten ist. Darin liegt aber auch das Risiko, weil ungünstige Rechtsfolgen übersehen werden und oft auch niemand nach rechtlichem Rat gefragt wird.
Ziel eines Berliner Testaments ist häufig, den überlebenden Ehegatten nach dem Tod des Erstversterbenden finanziell abzusichern und gegenüber den Kindern möglichst unabhängig zu machen. Häufigster Fall ist:
Berliner Testament soll Hausgrundstück für den Ehegatten sichern
Gerade wenn Eheleute ein gemeinsames Hausgrundstück haben, soll die Regelung im Berliner Testament dem Längstlebenden die Möglichkeit zu geben, in dem Haus wohnen bleiben zu können und dieses unter Umständen verkaufen zu können, ohne die Kinder fragen zu müssen.
Berliner Testament passt nicht bei der Patchwork-Familie
Für Patchwork-Familien oder wenn außereheliche Kinder da sind, passt das Berliner Testament in der Regel nicht. Das Berliner Testament ist aber auch sonst voller Tücken:
Welche Fehler kann man beim Berliner Testament machen?
Wird ein Berliner Testament ohne rechtliche Beratung errichtet, können sich schwerwiegende ungewollte Folgen ergeben. Hier ein Überblick:
Pflichtteil der Kinder oder Enkel werden im Berliner Testament übersehen
Bei der Gestaltung des Berliner Testaments wird häufig übersehen, dass die Kinder beim 1. Erbfall wegen der Enterbung einen Pflichtteilsanspruch gegen den überlebenden Ehepartner haben, der in Geld auszugleichen ist.
Das kann zu ungeahnten und ungeplanten Folgen für den überlebenden Ehegatten als Alleinerben führen.
Da der Anspruch ein Zahlungsanspruch auf Geld ist, der im Zweifel sofort fällig wird, kann das den überlebenden Ehegatten in ernsthafte Liquiditätsprobleme bringen.
Besteht beispielsweise der Nachlass im Wesentlichen nur aus einer Immobilie oder einem Unternehmen, muss der überlebende Ehegatte soviel Barvermögen oder anderes schnell verwertbares Vermögen haben, um die Zahlungsansprüche zu erfüllen.
Wenn nicht genügend Geld zur Erfüllung der Pflichtteilsansprüche da ist, muss im schlimmsten Fall die Immobilie oder das Unternehmen kurzfristig mit Verlust verkauft werden, um die nötige Liquidität zu beschaffen.
Bezieht ein Kind Sozialleistungen, liegt die Entscheidung, ob ein Pflichtteilsanspruch geltend gemacht werden soll, nicht mehr beim Kind. Auch gegen den Willen des Kindes kann die Sozialbehörde den Anspruch geltend machen.
Wenn das Problem Pflichtteil erkannt wird, werden oft schematisch Pflichtteilsstrafklauseln aufgenommen. Das führt aber zu anderen Problemen (siehe unten).
Zusatzpflichtteil bei Kindern aus vorangegangenen Beziehungen kann gleichmäßige Verteilung des Nachlasses vereiteln
Wenn ein Ehepaar unterschiedlich viele Kinder mit in die Ehe gebracht hat, ist eine gleichmäßige Beteiligung der Kinder am Nachlass des Längerlebenden durch den Zusatzpflichtteil des § 2305 BGB gefährdet.
Beispiel: Der Ehemann Benno hat drei eigene Kinder, die Ehefrau Anna hat ein eigenes Kind mit in die Ehe gebracht. Beim Tod des ersten Ehegatten soll der Überlebende allein erben, wenn auch der Überlebende verstirbt, sollen alle vier Kinder zu gleichen Teilen erben.
Problematisch ist hier der Zusatzpflichtteil des einen Kindes der Ehefrau, wenn die Ehefrau als letzte verstirbt. Testamentarischer Anteil des Kindes der Ehefrau ist ¼. Der Pflichtteil des Kindes wäre aber, da es die Mutter gesetzlich als Alleinerbe beerben würde, 1/2. Die Differenz zum testamentarischen Erbe kann das Kind gegenüber den anderen Kindern als Zusatzpflichtteil nach § 2305 BGB einfordern.
Lesen Sie dazu auch den Artikel zum Ehegattentestament Übersehen der Anfechtungsmöglichkeit.
Erbschaftsteuer beim Berliner Testament wird vergessen
Jeder Erbfall unterliegt der Erbschaftsteuer. Für Ehegatten und Kinder gibt es aber recht hohe Freibeträge (Ehegatte 500.000 Euro, Kinder jeweils 400.000 Euro).
Wenn die Kinder durch das Berliner Testament beim Tod des ersten Elternteils enterbt werden, bleiben die Freibeträge der Kinder bei der Erbschaftsteuer beim 1. Erbfall ungenutzt.
Beipiel: Vater, Mutter, ein Kind-Familie mit einem Einfamilienhaus im Wert von 500.000 Euro und einem Berliner Testament. In der Regel sind beide Elternteile Miteigentümer der Immobilie zu 1/2. Stirbt der Vater Benno, erbt die Mutter Anna nach dem Berliner Testament alles, damit auch dessen Miteigentumsansteil. Der Sohn ist enterbt. Steuerlich ist das kein Problem, weil der Freibetrag der Ehefrau reicht und die zum gemeinsamen Wohnen genutzte Immobilien ohnehin steuerfrei ist.
Problematisch ist der zweite Erbfall: Die Mutter hat jetzt durch das Alleineigentum am Hausgrundstück ein Vermögen von 500.000 Euro. Der Sohn wird deren Alleinerbe. Er hat aber nur einen Freibetrag von 400.000 Euro. Die Begünstigung für Wohnimmobilien greift im Normalfall bei Kindern auch nicht ein. 100.000 Euro müssen somit im Rahmen der Erbschaftsteuer versteuert werden. Das Ergebnis hätte durch eine andere erbrechtliche Gestaltung verhindert werden können.
Wegen der niedrigen Freibeträge von Erben, die mit dem Verstorbenen gar nicht oder nur entfernt verwandt sind, macht sich der nicht ausgenutzte Freibetrag bei der ersten Erbschaft besonders negativ bemerkbar.
Das bedeutet: Wenn ein (kinderloses) Eheaar in seinem Berliner Testament einen weit- oder einen nichtverwandten Dritten zum Schlusserben einsetzt, hat dieser nur einen Erbschaftsteuer-Freibetrag von 20.000 Euro. Hier wäre es z.B. zu überdenken, ob nicht schon im ersten Erbfall etwas zugewendet werden soll, um den Freibetrag nach dem erstversterbenden Ehegatten auch zu nutzen.
Wechselbezügliche Verfügungen im Berliner Testament führen zu ungewollten Bindungen an ein unpassendes Testament
Die zentralen Regelungen eines Berliner Testaments haben oft Bindungswirkung. Nach dem Tode eines Ehepartners kann der überlebende Ehegatte die Bindungswirkung nicht mehr aufheben.
Das bedeutet, dass das Testament durch den länger lebenden Ehegatten – ohne entsprechende vorsorgende Regelung – nicht mehr abgeändert werden kann, obwohl beispielsweise das Kind, das am Ende erben soll, sich nicht mehr um den Überlebenden kümmert.
Aber auch zu Lebzeiten beider Ehegatten ist das Testament dann nicht durch einen Ehegatten „normal“ zu widerrufen. Vielmehr geht das nur über den Notar. Der Widerruf wechselbezüglicher Verfügungen ist in § 2271 BGB geregelt, der zu den entsprechenden Regelungen zum Erbvertrag verweist.
Auch Schenkungen zu Lebzeiten durch den überlebenden Ehegatten können möglicherweise nach dessen Tod angefochten werden.
Berliner Testament – ungewollte Folgen im Sozialrecht
Eine nicht bedachte Langzeitfolge eines Berliner Testaments kann auch zu großer Freude beim Sozialamt führen:
Beispiel: Die Ehepartner sind je zur Hälfte Eigentümer eines Hausgrundstückes, das gemeinsam bewohnt wird. Sie haben ein Berliner Testament. Nach dem Tod des ersten Ehepartners wird der andere Ehepartner Alleinerbe und damit auch Alleineigentümer des Hausgrundstücks. Wenn der längstlebende Ehepartner schwer erkrankt und/oder pflegebedürftig wird, muss er aus dem Haus ausziehen. Wenn die laufenden Einnahmen aus der Rente nicht ausreichen, um die Kosten des Heims zu bezahlen, muss der Längstlebende sein gesamtes Vermögen (bis auf einen geringen Schonbetrag) einsetzen.
Das Hausgrundstück, das dem überlebenden Ehepartner wegen des Berliner Testaments jetzt alleine gehört, muss verkauft werden. Der Verkaufserlös muss für die Kosten des Heims eingesetzt werden. Die Kinder – die wegen des Berliner Testaments ja beim Tod des ersten Elternteils enterbt wurden, können von dem Verkaufserlös nur dann etwas fordern, wenn ihr Pflichtteilsanspruch noch nicht verjährt ist. Die gesetzliche Verjährungsfrist für die Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen ist 3 Jahre.
Hier wäre statt des Berliner Testaments die gesetzliche Erbfolge oder ein besseres Testament sinnvoller gewesen. Bei der gesetzlichen Erbfolge wäre der Witwer/die Witwe nur zur Hälfte Erbe geworden. Selbst dieses Ergebnis kann man noch durch ein durchdachtes Testament verbessern.
Berliner Testament- oft mißverständlich formuliert und unvollständig
Da das Berliner Testament so einfach zu errichten ist und auch überall Muster für ein Berliner Testament angeboten werden, wird ein Berliner Testament häufig ohne Beratung erstellt. Das führt – siehe oben – nicht nur zu rechtlichen Problemen, sondern häufig leider auch dazu, dass Berliner Testamente unvollständig und teilweise in sich widersprüchlich sind .
Weil auch die Kinder vom Berliner Testament ihrer Eltern häufig bis zu deren Tode nichts wissen und die Eltern auch sonst niemanden bei der Erstellung des Berliner Testaments gefragt haben, schleichen sich schnell Fehler ein, die später – nachdem der erste Partner verstorben ist – nicht mehr zu korrigieren sind.
Schlusserbe wird vergessen
Wird ein „Berliner Testament“ ohne rechtliche Beratung erstellt, ist es häufig nicht bis zu Ende gedacht.
Der erste Erbfall – gegenseitige Erbeinsetzung – wird geregelt. Was aber nach dem Tode des zweiten genau passieren soll, wird bisweilen vergessen und nicht geregelt. Wenn diese „Schlusserbschaft“ im gemeinsamen Testament nicht geregelt ist, und auch der überlebende Ehegatte später keine Verfügung macht, gilt die gesetzliche Erbfolge. Bei mehreren Erben entsteht eine Erbengemeinschaft.
Wenn solche „einstufigen“ Ehegattentestamente von kinderlosen Paaren gemacht werden, erben dann eher zufällig weit entfernte Verwandte.
Ersatzerbe wird vergessen
Vergessen wird in Berliner Testamenten häufig auch, dass die Kinder vor den Eltern sterben können. Es fehlt dann an einer testamentarischen Regelung zu Ersatzerben für die Kinder.
Vermächtnis im Berliner Testament führt zu Unklarheiten
Steht im Berliner Testament ein Vermächtnis, kann unklar sein, ob das Vermächtnis schon beim Tod des Erstversterbenden oder erst am Schluss entstehen soll. Das muss insbesondere im Berliner Testament, in dem ja ausnahmsweise zwei Erbfälle geregelt sind, klar festgehalten sein.
Fazit: Lassen Sie sich bei der Erstellung eines Testamentes ausführlich beraten, um Streit und ungewünschte Testamentsfolgen zu vermeiden. Nach unserer Erfahrung passen Berliner Testamente auf viele Familiensituationen nicht.
Muster oder Vordrucke für ein Testament, insbesondere aus dem Internet, sollten Sie nie ungeprüft übernehmen. Die rechtliche Beratung hilft dann, nicht nur eine rechtlich passende, sondern auch eine familiär sinnvolle Gestaltung zu finden. Lassen Sie sich beraten!
Probleme mit Pflichtteilsstrafklauseln im Ehegattentestament
Berliner Testamente erhalten oft eine Pflichtteilsstrafklausel. Eine solche Pflichtteilsstrafklausel kann verschiedene Probleme verursachen: Gibt es eine Pflichtteilsstrafklausel, kann ein Außestehender nach dem Tod des zweiten Ehegatten aus dem Testament nicht klar die Erbfolge erkennen. Die Eintragung der Erben im Grundbuch wird erschwert und verteuert.
Zudem sind Pflichtteilsstrafklauseln oft „starr“ formuliert. Das bedeutet, die Rechtsfolge Enterbung tritt automatisch ein. Damit beraubt man sich aber einer Möglichkeit, schlecht geplante Berliner Testamente, die steuerlich in die Katastrophe führen (siehe oben Erbschaftsteuer beim Berliner Testament), durch Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen „zu retten“.
Heimkosten – Regress Sozialamt „enterbt“ die Kinder
Kein juristisches, aber ein tatsächliches Problem beim Berliner Testament ist, dass der Gedanke, dass das Ehegattenvermögen auf der Elternebene verbleibt und das Kind oder die Kinder ja beim zweiten Erbfall alles erben, geht in der Realität häufig nicht mehr auf.
Grund sind die rasant gestiegenden Kosten für Pflegeeinrichtungen. Da die Renten für die Eigenanteile der Pflegebedürftigen häufig nicht reichen, müssen die Betroffenen zuzahlen und dafür auch ihr eigenes Vermögen verbrauchen.
Lebt der überlebende Ehegatte, der wegen des Berliner Testaments auch das Vermögen des Erstverstorbenen geerbt hat, viele Jahre im Pflegeheim, kann das gesamte Erbe weg sein. Die Kinder erben nichts.
Auch aus dem Grund ist es sinnvoller, von der sehr starren Regelung des Berliner Testaments abzuweichen und die Kinder schon beim ersten Erbfall zu beteiligen.
Für Fragen im Erbrecht und zu Ihrem Berliner Testament:
Rechtsanwalt Alexander Grundmann in Leipzig