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04.08.2015: In Vorsorgevollmachten kein Verzicht auf gerichtliche Genehmigung bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen möglich

Eine Vorsorgevollmacht oder Generalvollmacht sollte jeder haben. Allerdings setzt das Gesetz dem Umfang einer solchen Generalvollmacht auch für persönliche Fragen Grenzen. Bestimmte – besonders in das Persönlichkeitsrecht eingreifende –  Entscheidungen des Bevollmächtigten müssen vom Gericht genehmigt werden. Diese Genehmigungspflicht kann man durch eine Vorsorgevollmacht nicht aufheben.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 10.06.2015 darüber entschieden, ob diese Einschränkungen der Vorsorgevollmacht verfassungsgemäß ist.

Gerichtliche Genehmigung trotz umfassender Vorsorgevollmacht

Weite Vollmacht auch zu Unterbringung

Eine Frau hatte ihrem Sohn eine umfassende Vorsorgevollmacht erteilt. Die notarielle General- und Vorsorgevollmacht bevollmächtigte den Sohn, seine Mutter
„soweit gesetzlich zulässig, in allen persönlichen Angelegenheiten, auch soweit sie meine Gesundheit betreffen, sowie in allen Vermögens-, Steuer- und sonstigen Rechtsangelegenheiten in jeder denkbaren Hinsicht zu vertreten und Entscheidungen für mich und an meiner Stelle ohne Einwilligung des Vormundschaftsgerichts zu treffen und diese auszuführen bzw. zu vollziehen.“

In einem mit  „§ 3 Bereich der gesundheitlichen Fürsorge und des Selbstbestimmungsrechts“ überschriebenen Teil der Vollmacht hieß es konkret zur Unterbringung:

„Die Vollmacht berechtigt dazu, meinen Aufenthalt zu bestimmen. Die Generalvollmacht umfasst auch die Befugnis zu Unterbringungsmaßnahmen im Sinne des § 1906 BGB, insbesondere zu einer Unterbringung, die mit Freiheitsentziehung verbunden ist, zur sonstigen Unterbringung in einer Anstalt, einem Heim oder einer sonstigen Einrichtung sowie zur Vornahme von sonstigen Freiheitsentziehungsmaßnahmen durch mechanische Vorrichtungen, Medikamente o.a. auch über einen längeren Zeitraum.“

Genehmigung des Vormundschaftsgericht

Die Vollmacht kam zum Einsatz, weil die Mutter, die in einem Seniorenheim lebte schließlich die Pflegestufe III erreichte .

Nachdem die Mutter mehrfach vom Stuhl oder aus ihrem Bett auf den Boden gefallen war und sich dabei verletzte, willigte der Sohn im Rahmen seiner Vollmacht ein, Gitter am Bett der Mutter zu befestigen und sie tagsüber mit einem Beckengurt im Rollstuhl zu fixieren.

Das zuständige Amtsgericht hat die Einwilligung des Sohnes in die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen genehmigt, wie in § 1906 Abs. 5 BGB vorgesehen.

Gegen diese Genehmigung wurde Beschwerde eingelegt, allerdings sowohl beim Landgericht als auch dem Bundesgerichtshof ohne Erfolg.

Gestritten wurde um die Wirksamkeit der Formulierung in der Vollmacht, nach der Entscheidungen des Bevollmächtigten „ohne Einschaltung des Vormundschaftsgerichts“ getroffen werden können und sollen. Dagegen wurde Verfassungsbeschwerde eingelegt, weil die Vorschrift in § 1906 Abs. 5 BGB verfassungswidrig sei.

Argumentiert wurde mit der vergleichbaren Regelung in § 1904 Abs. 4 BGB, der für den Bereich ärztlicher Maßnahmen erlaubt, dass diese Entscheidungen ohne Genehmigung des Gerichts getroffen werden können, wenn die Maßnahmen ausdrücklich von der Vollmacht umfasst sind.

Vorsorgevollmacht umfasst keine Alleinentscheidung über freiheitsbeschränkende Maßnahmen

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) musste jetzt entscheiden, ob eine Genehmigung durch das Gericht überhaupt erforderlich war, oder die Bevollmächtigung des Sohnes in der Vorsorgevollmacht ausreicht, über die freiheitsbeschränkenden Maßnahmen zu entscheiden.

Im Ergebnis hat das Gericht die Verfassungsbeschwerde nicht angenommen. Der Beschluss wurde aber ausführlich begründet.

Das BVerfG hat entschieden, dass eine Bevollmächtigung zu freiheitsbeschränkenden Maßnahmen durch eine Vorsorgevollmacht nicht möglich ist. Bei Entscheidungen über solchen Maßnahmen muss immer ein Richter zustimmen („Richtervorbehalt“). Daher  kann in einer Vorsorgevollmacht nicht auf gerichtliche Genehmigung bei freiheitsbeschränkenden Maßnahmen verzichtet werden.

Das Verfassungsgericht begründet das so:

Das Gesetz bestimmt in § 1906 Abs. 5 BGB in Verbindung mit § 1906 Abs. 1-4 BGB., dass vor zusätzlichen Freiheitsbeschränkungen eine gerichtliche Genehmigung einzuholen ist.

Die gesetzliche Regelung in § 1906 Abs. 5 BGB ist verfassungsgemäß.

Das Selbstbestimmungsrecht  gilt nicht uneingeschränkt, sondern nur im Rahmen der verfassungsmäßigen Ordnung, dazu gehören verfassungsgemäße Gesetze wie § 1906 Abs. 5 BGB.
§ 1906 Abs. 5 BGB ist nach Ansicht des BVerfG aus folgenden Gründen verfassungsgemäß:

Der Staat ist nach dem Grundgesetz verpflichtet, das Leben, die körperliche Unversehrtheit, die Freiheit und die sexuelle Selbstbestimmung des Einzelnen zu schützen und diese Rechtsgüter vor Eingriffen von Seiten Dritter zu bewahren, wo Menschen selbst nicht (mehr) dazu in der Lage sind.

Dafür kommt es auf den tatsächlichen, natürlichen Willen des Betroffenen, nicht auf den Willen eines Vertreters an.

Freiheitsbeschränkung können sich für den Betroffenen trotz fehlender Einsichts- und Geschäftsfähigkeit als besonders bedrohlich darstellen.

Dieses subjektive Bedrohlichkeitsempfinden durch eine Freiheitsbeschränkung wird nicht dadurch gemindert, dass der Betroffene früher in derartige Beschränkungen eingewilligt oder die Entscheidung über solche Beschränkungen in die alleinige Verantwortung bestimmter Vertrauenspersonen durch eine Vollmacht übertragen hat.

Daher entspricht die zwingende Einschaltung eines Gerichts bei Freiheitsbeschränkungen der Wahrnehmung staatlicher Schutzpflichten,

Diese Verpflichtung, bei Entscheidungen über Freiheitsbeschränkungen trotz Vollmacht eine gerichtliche Genehmigung einholen zu müssen, greift in das Selbstbestimmungsrecht der aus Art. 2 Abs. 1 GG ein.

Dieser Eingriff in das Selbstbestimmungsrecht ist im Hinblick auf diesen Schutz aber verhältnismäßig.

Das Gericht setzt sich auch mit dem Verhältnis zum § 1904 Abs. 4 BGB (gilt für ärztliche Maßnahmen) auseinander.

Die Einwilligung des Bevollmächtigten in ärztliche Maßnahmen nach § 1904 BGB ist ohne Gericht erlaubt, weil diese ärztlichen Maßnahmen dem Willen der Patienten entsprechen sollen. Nur wenn über den mutmaßlichen Willen  keine Einigkeit zwischen Bevollmächtigtem und Arzt erzielt werden kann, ist das Gericht einzuschalten.

Bei Maßnahmen nach  § 1906 BGB hingegen soll aber der natürliche Wille der Betroffenen überwunden werden.

Dieser entscheidende Unterschied rechtfertigt die zwingende gerichtliche Genehmigung.

BVerfG Beschluss vom 10. Juni 2015 2 BvR 1967/12
 
Quelle: Pressemitteilung des BVerfG Nr. 47/2015 vom 30. Juni 2015

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