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3. April 2017 – Taktische Ausschlagung zur Beseitigung der Bindungswirkung eines Ehegattentestaments

(Artikel aktualisiert am 8. Juni 2022)

In Ehegattentestamenten sind – meist unbewusst – sogenannte „wechselbezügliche Verfügungen“ enthalten. Das bedeutet dann, dass sich die Ehegatten binden und nicht einfach durch ein neues Testament alles ganz anders regeln können.

Wechselbezügliche Verfügung verhindert spätere Testamentsänderung

In jedem Berliner Testament, in dem sich die Ehegatten gegenseitig und dann die Kinder einsetzen, schaffen die Eheleute solche „wechselbezüglichen Verfügungen“, wenn sie nicht ausdrücklich regeln, dass z.B. die Verfügung, dass die Kinder beim Tod des Zweitversterbenden alles erben sollen, nicht wechselbezüglich ist und widerrufen werden kann.

Das Problem ist: Eine „wechselbezügliche Verfügung“ in einem gemeinsam verfassten Ehegattentestament (gemeinschaftliches Testament) kann mit dem Tod eines Ehegatten nicht mehr widerrufen werden, § 2271 Abs. 2 S. 1 1. HS. BGB. Ein späteres Testament mit widersprechender Regelung ist dann schlicht unwirksam.

Beispiel:  Die Ehegatten Anna und Benno haben ein Berliner Testament. Sie haben sich gegenseitig zu Alleinerben eingesetzt. Der Längerlebende soll vom gemeinsamen Sohn Daniel beerbt werden.  Nach dem Tod des Mannes erbt die Frau als Alleinerbe.  Die Witwe Anna kann die Erbenstellung des Sohnes nach dem Tod ihres Ehegatten aber nur ändern, wenn dies im Berliner Testament ausdrücklich gestattet ist. Oft wird das nicht bedacht und deswegen auch nicht geregelt.

Der Sohn ist der „Schlusserbe“. Überwirft sich die verwitwete Frau mit dem Sohn oder hat der Sohn Schulden und soll deshalb nichts erben, kann die Frau diese testamentarische Regelung im Berliner Testament nicht mehr durch ein neues Testament aufheben.

Ausschlagung aus Ausweg aus der Bindung des Ehegattentestaments?

Die Bindung aus einer solchen Verfügung im Testament kann der überlebende Ehegatte aber durch Ausschlagung des Erbes beseitigen, § 2271 Abs. 2 S. 1 2. HS BGB.

Der länger lebende Ehegatte erhält daher durch eine Ausschlagung  seines Erbes seine durch das gemeinschaftliche Testament eingeschränkte Testierfähigkeit zurück. Er kann ein neues wirksames Testament mit einer anderen Regelung errichten. Das müsste er auch machen, weil sonst die alte Verfügung – nur ohne Bindungswirkung – weiterbesteht.

Das bedeutet: Durch die Ausschlagung werden die im Ehegatten-Testament getroffenen wechselseitigen Verfügungen nicht automatisch aufgehoben. Der überlebende Ehegatte, der ausschlägt, bekommt dadurch aber die Möglichkeit – abweichend vom Berliner Testament – die Erbfolge nach seinem Tod neu zu testieren. Die Aufhebung erfolgt durch ein Testament mit einer anderen Regelung.

Ein Ausschlagungsrecht besteht jedoch nur, wenn dem überlebenden Ehegatten tatsächlich etwas zugewendet worden ist. Sonst  ist er – das ist aber umstritten – nicht berechtigt, sein Erbe auszuschlagen

Achtung: Schlägt der Ehegatte als testamentarischer Erbe aus, wird er – im Grundsatz, aber wichtige Ausnahme siehe unten – gesetzlicher Erbe über § 1948 BGB. Bekommt er dabei annähernd gleich viel, muss er auch als gesetzlicher Erbe ausschlagen, weil als „Gegenleistung“ für das Freikommen von der Bindungswirkung ein echtes Vermögensopfer gefordert wird (Palandt/Weidlich, BGB, 80. Auflage 2021, § 2271 Rn. 18).

Nachteile und Risiken der Ausschlagung

Wie bei jeder Ausschlagung ist auch bei der Ausschlagung durch den Ehegatten das Problem, dass die Aussschlagungsfrist sehr kurz ist.  In einer schwierigen Lebenssituation muss dann eine rechtlich sehr weit reichende Entscheidung getroffen werden.

Zudem ist der Preis für diese Wiedererlangung der Testierfreiheit durch Ausschlagung – je nach konkreter Familiensitiuation – hoch. Der überlebende Ehegatte wird nicht Erbe des vorverstorbenen Ehepartners. Finanziell kann das zwar unprobelmatissch sein, wenn vom Verstorbenen gar nicht viel zu erben ist, und das „Ehevermögen“ schon immer beim überlebenden Ehegatten war. Allerdings führt der Verlust der Erbenstellung auch dazu, dass der Überlebende nicht mehr der „Bestimmer“ über den Nachlass ist und sich z.B. mit den neuen Erben rumstreiten muss.

Problematisch ist es auch, wenn nicht klar ist, wer durch die Ausschlagung überhaupt als nächster Erbe nachrückt. Hier kann  eine Testamentsauslegung notwendig werden. Auch die gesetzlichen Auslegungsregelungen sind zu beachten. Insbesondere ist durch Auslegung zu ermitteln, ob ein eingesetzter Schlusserbe auch Ersatzerbe ist, der dann statt des ausschlagenden Ehegatten Erbe des zuerst versterbenden wird.

Es ist nicht immer klar, was bei einer Testamentsauslegung rauskommt:

Setzen die Ehegatten als Schlusserben ein gemeinschaftliches Kind ein, ist dies im Normalfall  auch eine Einsetzung als Ersatzerbe (Palandt/Weidlich, BGB, 80. Auflage 2021, § 2271 Rn. 17).

In der klassischen Vater, Mutter, Kind – Konstellation, wo sich die Eltern im Berliner Testament gegenseitig und dann das Kind zum Schlusserben einsetzen – siehe Beispiel oben – gilt daher:

Erklärt die überlebende Witwe Anna gegenüber dem Nachlassgericht, dass sie die Erbschaft als eingesetzte Erbin ausschlägt, aber als gesetzliche Erbin annimmt, funktioniert das nicht,  weil das gemeinsames Kind als Schlusserbe eingesetz ist. Als Ersatzerbe wird somit der Sohn Alleinerbe nach dem Vater. Der Mutter bleibt dann nur der Pflichtteil und der Zugewinnausgleichsanspruch.

Anders kann es sein, wenn Schlusserbe nicht ein gemeinsames Kind ist.

Beispiel: Die Ehegatten Anna und Benno setzten sich testamentarisch gegenseitig zu Alleinerben ein. Als Schlusserben bestimmten sie die Tochter des Ehemanns aus erster Ehe Claudia und den Neffen der Ehefrau Emil zu gleichen Teilen. Nach dem Tod ihres Ehemanns schlug die Frau die Erbschaft „aus allen Berufungsgründen“ aus.
Die Tochter stellte einen Erbscheinsantrag als Alleinerbin. Der Neffe der meint, die Schlusserbeneinsetzung sei gleichzeitig eine Ersatzerbeneinsetzung, beantragte einen gemeinschaftlichen Erbschein zu je 1/2.

Laut OLG Hamm (Beschluss vom 14.03.14, 15 W 136/13) gilt hier Folgendes „Setzen Ehegatten sich in einem gemeinschaftlichen Testament gegenseitig als Erben sowie jeweils einseitig mit ihnen verwandte Personen gemeinsam als Erben des Letztversterbenden ein und schlägt der überlebende Ehegatte nach dem Tode des Erstversterbenden aus, kann die Schlusserbeinsetzung regelmäßig nicht als Ersatzerbeinsetzung auf den Nachlass des Erstversterbenden ausgelegt werden; für seinen Nachlass tritt dann gesetzliche Erbfolge ein.“
Demnach wurde die Tochter Alleinerbin ihres Vaters.

Beraterhinweis: Bei Ehegattentestamenten müssen Sie immer prüfen, ob die Bindungswirkung nicht im Testament sinnvollerweise ausdrücklich aufgehoben wird, um den länger lebenden Ehegatten später nicht in eine riskante Ausschlagung zu treiben, wenn sich die Lebensumstände ändern.

Ist Ehegatten die Bindungswirkung wichtig, sollte die Möglichkeit der Beseitigung der Bindungswirkung durch Ausschlagung berücksichtigt werden.  Ziel der Nachfolgeplanung wäre es dann auch, die Ausschlagung uninteressant zu machen: Der Ausschlagung würde man durch einen Pflichtteilsverzicht entgegen wirken können. Dem ausschlagenden Ehegatten bleibt dann bei einer Ausschlagung nur noch der rechnerische Zugewinnausgleichsanspruch.

Fazit:  Die Auschlagung nach dem Tod des Ehepartners ist nur ein Notbehelf. Wichtig ist die vorausschauende Nachlassplanung und klare Regelung, welche testamentarischen Verfügungen bindend sein sollen und welche nicht. Lassen Sie sich bei diesen Entscheidungen helfen!

Bei Fragen zum Erbrecht unter Ehegatten beraten ich Sie gern.

Rechtsanwalt Alexander Grundmann in Leipzig

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