Vererbt der Erblasser dem Pflichtteilsberechtigten durch Testament oder Erbvertrag wertmäßig weniger als sein Pflichtteil wäre, hat der Pflichtteilsberechtigte einen Anspruch auf Auszahlung seines Restpflichtteils, § 2305 BGB. Verwendet werden dafür sowohl der Begriff „Zusatzpflichtteil“ (so nennt es das Gesetz) als auch „Restpflichtteil“. Der Restpflichtteilsanspruch ist eine Nachlassverbindlichkeit und richtet sich gegen die anderen Erben.
Berechnung des Restpflichtteils
Der Restpflichtteil (oder Zusatzpflichtteil) ist die Differenz zwischen dem tatsächlichen Erbe und dem rechnerischen Pflichtteil.
Beispiel 1a: Ein verwitweter Mann hat eine neue Lebensgefährtin und will ihr möglichst alles vererben. Als einziges Kind hat er einen Sohn, mit dem er sich nicht versteht. Der Witwer setzt den Sohn in seinem Testament auf einen Erbteil von ¼. Den Rest bekommt laut Testament die neue Lebensgefährtin des Witwers.
Der Sohn ist pflichtteilsberechtigt. Sein Pflichtteil ist ½ des Erbes. Der Sohn kann zusätzlich zu seinem Erbteil von 1/4 den Zusatzpflichtteil von 1/4 von der Lebensgefährtin des Vaters verlangen.
Berechnung des Restpflichtteils bei beschränktem Erbe
Schwieriger ist die Berechnung des Zusatzpflichtteils, wenn das Erbe zusätzlich noch beschränkt oder beschwert ist, z.B. durch ein Vermächtnis.
Beispiel 1b: Familiensituation wie in Beispiel 1a: Im Testament wird der Sohn wieder nur auf einen Erbteil von 1/4 gesetzt. Zusätzlich muss er davon noch ein Vermächtnis von 10.000 Euro bezahlen. Der Nachlass des verstorbenen Mannes ist 100.000 Euro wert.
Der Sohn bekäme einen Erbteil im Wert von 15.000 Euro (25.000 Euro minus 10.000 Euro Vermächtnis). Sein Pflichtteil beträgt 1/2, also 50.000 Euro. Hier ist die Frage, ob der Restpflichtteil 35.000 Euro oder nur 25.000 Euro hoch ist.
§ 2305 S. 2 BGB beantwortet die Frage: „Bei der Berechnung des Wertes bleiben Beschränkungen und Beschwerungen der in § 2306 bezeichneten Art außer Betracht.“
Für die Berechnung des Zusatzpflichtteils ist der Wert des Erbteils 25.000 Euro, obwohl er wegen des Vermächtnisses nur 15.000 Euro wert ist. Im Ergebnis bekäme der Sohn den Erbteil 15.000 Euro und den Zusatzpflichtteil 25.000 Euro, insgesamt also 40.000 Euro.
Hier muss der Erbe über eine Ausschlagung nachdenken.
Jeder Erbe hat nämlich über § 2306 BGB die Möglichkeit, seinen Erbteil auszuschlagen, sofern er eine der dort aufgezählten Beschwerungen hat, also z.B. ein Vermächtnis, und trotzdem (ausnahmsweise) seinen Pflichtteil zu bekommen. Der Pflichtteil ist dann 50.000 Euro.
Auch durch Vermächtnis keine Umgehung des Pflichtteils
Eine ähnliche Regelung gilt, wenn statt Erbeinsetzung ein Vermächtnis zugunsten des Pflichtteilsberechtigten ins Testament reingeschrieben wird, § 2307 BGB.
Hier hat der Pflichtteilsberechtigte noch die Alternative, das Vermächtnis auszuschlagen und einfach seinen vollen Pflichtteil zu verlangen.
Fazit: Wenn das Erbe hinter dem Pflichtteil zurückbleibt, kann der Rest als Zusatzpflichtteil zusätzlich verlangt werden.
Zusätzlicher Nachteil dieser Testaments-Gestaltung:
Zusätzlich zum Umstand, dass eine solche Gestaltung im Testament nichts bringt, gibt es auch noch einen handfesten Nachteil: Es entsteht eine Erbengemeinschaft mit all ihren Problemen. Sowohl aus Sicht der Wunscherben, als auch aus Sicht des unerwünschten Erben, der die Erbenstellung nur bekommen hat, weil der Erblasser ihm weniger als den Pflichtteil hinterlassen wollte, führt eine Erbengemeinschaft zu höherem Streitpotential.
Wird der Pflichtteilsberechtigte hingegen einfach nur enterbt, wird er nicht Mitglied der Erbengemeinschaft. Daher stellt sich – nach dem Erbfall – für den unerwünschten Erben die Frage:
Ausschlagung und Geltendmachung des Pflichtteils?
Um die Erbengemeinschaft zu vermeiden, bietet sich die Ausschlagung des Erbes an. Die Ausschlagung ist für den pflichtteilsberechtigen Erben aber keine Alternative. Schlägt der Pflichtteilsberechtigte nämlich die Erbschaft aus, steht ihm nicht der Anspruch auf den vollen Pflichtteil zu. Er erhält lediglich einen Anspruch auf den Restpflichtteil.
Lassen Sie sich beim Testament oder nach dem Erbfall beraten!
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Rechtsanwalt Alexander Grundmann, Leipzig
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