Es kann gute Gründe geben, im Testament einen gesetzlichen Erben von der Erbfolge auszuschließen. Werden Kinder oder der Ehegatte im Testament enterbt, steht ihnen nach Eintritt des Erbfalls ein gesetzliches Pflichtteilsrecht zu, § 2303 BGB.
Dieser Pflichtteil ist ein Zahlungsanspruch in Höhe der Hälfte des Wertes des gesetzlichen Erbteils des Enterbten gegen den oder die Erben.
Wie berechnet sich der Pflichtteilsanspruch?
Für die Höhe des Pflichtteilanspruchs kommt es zum einen darauf an, welcher Erbanteil dem Pflichtteilsberechtigten nach dem gesetzlichen Erbrecht zustehen würde. Die Hälfte davon ist dann die Pflichtteilsquote.
Zum anderen kommt es auf den Nachlasswert an, aus dem dann mithilfe der Pflichtteilsquote die Höhe des Pflichtteilsanspruchs errechnet werden kann.
Deswegen muss der Nachlasswert ermittelt werden.
Wie berechnet sich der Nachlasswert?
Gemäß § 2311 Abs. 1 BGB wird für die Berechnung des Pflichtteils der Bestand und der Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalls zugrunde gelegt. Es kommt somit für den Nachlasswert auf den Tag des Todes an.
Dieser Nachlasswert wird in 3 Schritten ermittelt:
Zu ermitteln sind zuerst alle positiven Vermögenswerte des Verstorbenen (Aktivnachlass). Dann ist der sogenannte Passivnachlass zu ermitteln, das sind vor allem die vom Erblasser hinterlassenen Schulden.
Vom Aktivnachlass ist dann der sogenannte Passivnachlass abzuziehen.
Interessant ist die Frage, welche Verbindlichkeiten der Erbe im Rahmen des Passivnachlasses geltend machen kann.
Nicht alle Verbindlichkeiten, mit denen der durch den Erbfall belastet ist, kann er vom Nachlass abziehen
Der Erbe darf zum Beispiel Erbschaftsteuern oder auch Kosten der Nachlassverwaltung nicht abziehen.
Kann der Erbe bei der Berechnung des Pflichtteils ein Vermächtnis vom Nachlassvermögen abziehen?
Ein Vermächtnis kann für die Berechnung des Pflichtteils ebenfalls nicht abgezogen werden.
Hat der Verstorbene seine Erben im Testament mit einem Vermächtnis belastet, führt das nicht zu einer Verringerung von Pflichtteilsansprüchen
Sinn dieser Regelung ist, dass man das im deutschen Recht sehr starke Pflichtteilsrecht nicht durch die Anordnung von Vermächtnissen in seinem Testament wirtschaftlich aushöhlen können soll.
Diese Regelung findet sich explizit so nicht im Erbrecht, wird aber aus den Vorschriften des § 2318 BGB abgeleitet.
Wie auch die Bestimmungen zum Pflichtteilsergänzungsanspruch hinsichtlich früherer Schenkungen schützt auch das Verbot, Vermächtnisse für die Berechnung des Pflichtteilsanspruchs abzuziehen, die starke Stellung des Pflichtteilsberechtigten.
Vermächtnisnehmer muss sich aber an Zahlung des Pflichtteils beteiligen
Der Erbe kann aber gemäß § 2318 BGB den Vermächtnisnehmer wirtschaftlich an der Pflichtteilsschuld beteiligen:
Der Erbe ist zwar allein verpflichtet, das Vermächtnis zu erfüllen. Er kann aber nach § 2318 Abs. 1 BGB vom Vermächtnisnehmer verlangen, dass er sich anteilig an der Bezahlung des Pflichtteils beteiligt. Im Ergebnis führt das dazu, dass weniger Vermächtnis gezahlt wird.
Beispiel: Alleinerbin ist die Geliebte des Verstorbenen. Der einzige gesetzliche Erbe, der Sohn, ist enterbt. Seine Erbquote wäre 1/1, nach gesetzlicher Erbfolge würde er alles erben, seine Pflichtteilsquote ist damit ½. Der Nachlasswert ist 100.000 Euro, der Pflichtteilsanspruch des Sohnes damit 50.000 Euro. Im Testament gibt es ein Vermächtnis in Höhe von 20.000 Euro. Die Alleinerbin muss jetzt nicht einmal 50.000 Euro an den Sohn und 20.000 Euro an den Vermächtnisnehmer zahlen. Der Vermächtnisnehmer muss sich rechnerisch an dem Pflichtteilsanspruch in Höhe von 50.000 Euro mit einem Betrag in Höhe von 10.000 Euro beteiligen. Das führt dazu, dass der Erbe dem Vermächtnisnehmer nicht 20.000 Euro, sondern nur 10.000 Euro bezahlen muss.
Vermächtnisse sind hinter Pflichtteilsansprüchen nachrangig
Wie sich aus § 2318 BGB ergibt, ist der Vermächtnisanspruch gegenüber dem Pflichtteilsanspruch nachrangig.
Auch im Falle eines Nachlassinsolvenzverfahrens sind Vermächtnisse nachrangig zu Pflichtteilsansprüchen, § 1991 Abs. 4 BGB, § 327 InsO (Insolvenzordnung). Der Erbe muss zunächst einen Pflichtteilsanspruch erfüllen, bevor er ein Vermächtnis auszahlen darf. Im Zweifel geht der Vermächtnisnehmer bei einem unzureichenden Nachlass leer aus.
Für Ihre Fragen im Erbrecht, zum Pflichtteilsrecht und beim Streit um Pflichtteilsansprüche:
Rechtsanwalt Alexander Grundmann
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