update 17. November 2022: Ich habe den Prozessverlauf Facebook-Fall und den rechtlichen Ausgang nochmal im Überblick dargestellt.
Eltern wollen Todesumstände mit Hilfe des Facebook- Accounts aufklären
Eine junge Frau verunglückte 2012 unter ungeklärten Umständen tödlich. Sie wurde von einer Berliner U-Bahn erfasst und verstarb kurz darauf im Krankenhaus. Die Eltern erhofften sich, durch die Chatverläufe des Facebook-Accounts Klarheit über die Frage, ob ihre Tochter Selbstmord begangen hat. Facebook hatte das Benutzerkonto der Tochter allerdings in einen sog. Gedenkzustand versetzt, so dass kein Einloggen in den Account mehr möglich war, obwohl die Eltern die Zugangsdaten zu Facebook haben.
Landgericht gab Eltern Recht auf Zugang zum Facebook- Account
In der ersten Instanz sprach das Landgericht Berlin den Eltern, als Erben der Tochter, den Zugriff auf das Facebook-Konto zu. Im Rahmen der Gesamtrechtsnachfolge nach § 1922 BGB geht das Vermögen auf die Erben über, dazu gehört auch digitales Vermögen. Daher stehe den Eltern ein Anspruch auf Zugang zum Benutzerkonto durch den übergegangen Nutzungsvertrag mit Facebook zu. Der Zugriff auf die Server, auf denen die höchstpersönlichen Daten der Tochter gespeichert sind, sei Teil des Vermögens. Eine Verkörperung, wie es beispielsweise bei Briefen der Fall ist, sei für die Vereinbarkeit von Ansprüchen aus Verträgen nicht erforderlich.
Fernmeldegeheimnis steht Zugriff auf Facebook entgegen
Das Kammergericht Berlin widerspricht dem als Berufungsinstanz. Das Gericht ließ offen, ob die Eltern in den Vertrag der Tochter mit Facebook eingetreten sind, da zumindest das Fernmeldegeheimnis nach § 88 III Telekommunikationsgesetz (TKG) der Zugangsöffnung entgegenstehe. Das TKG wurde zwar ursprünglich für Telefonanrufe geschaffen, aber es erstreckt sich nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgericht (Urteil vom 16.09.09 – 2 BvR 902/06) auch auf E-Mails, die auf Servern privater Dienstanbieter gespeichert sind.
§ 88 III TKG ist die einfachgesetzliche Ausgestaltung des Art. 10 GG, der das Fernmelde- bzw. Telekommunikationsgeheimnis verfassungsrechtlich garantiert. Das Fernmeldegeheimnis ist damit eine objektive Wertentscheidung der Verfassung, aus der sich eine Schutzpflicht des Staates ergibt. Auch private Dienstanbieter, wie Facebook, müssen das Geheimnis wahren.
Auch Ausnahmen des TKG rechtfertigen keinen Zugriff auf den Account. Es ist nicht erforderlich, Dritte über den Inhalt der Chatverläufe zu informieren. Erforderlich sei es nur, um technische Dienste zu ermöglichen oder aufrecht zu erhalten. Facebook bot die Kommunikationsdienste nur beschränkt für den Nutzer an, so dass es aus Sicht der ebenso schutzbedürftigen Chatpartner nicht erforderlich sei, den Eltern nachträglich Zugang zum Inhalt der Daten zu verschaffen.
Es gibt auch kein anderes Gesetz, insbesondere kein erbrechtliches, das erlaubt, eine Ausnahme vom verfassungsrechtlich garantierten Schutz des Fernmeldegeheimnisses zu machen.
Selbst mögliche Einwilligung der Tochter unerheblich
Auch die Behauptung der Mutter, ihre Tochter hätte ihr die Zugangsdaten zu ihrem Facebookaccount überlassen, ändert nichts. Selbst wenn dies so geschehen ist, müssten auch all jene auf den Schutz des Fernmeldegeheimnisses verzichten, mit denen die Verstorbene kommuniziert hat.
Kammergericht, Urteil vom 31.05.2017 – 21 U 9/16
Vorinstanz: Landgericht Berlin, Urteil vom 17.12.2015 – 20 O 172/15
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Alexander Grundmann, Leipzig
Rechtsanwalt und Fachanwalt für Urheber- und Medienrecht
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