überarbeitet: 6. Juli 2021
Ein in Deutschland übliches Modell ist die so genannten „vorweggenommenen Erbfolge“. Dabei gibt der Erblasserbeispielsweise sein Haus-Grundstück bereits zu Lebzeiten und nicht erst mit dem Erbfall an einen anderen weiter. Dies kann aus praktischen Erwägungen, oder auch aus steuerlichen Gründen passieren. Oft ist auch das Ziel der„vorweggenommenen Erbfolge“, Pflichtteilsansprüche von „ungeliebten“ Kindern zu reduzieren.
Die Eigentumsübertragung soll in den meisten Fällen jedoch lediglich pro Forma erfolgen. Oft möchte der Erblasser die Immobilie nach wie vor selbst nutzen. Um dies zu gewährleisten, wird ihm im Regelfall ein Nießbrauch am Grundstück eingeräumt.
Beispiel Grundfall: Benno ist verheiratet und hat zwei Töchter. Er schenkt im Jahr 2000 sein Grundstück an seine Ehefrau Anna. Dabei behält er sich aber den Nießbrauch am gesamten Grundstück vor. Seine Ehefrau hat er auch zu seiner Alleinerbin eingesetzt. Im Jahr 2016 stirbt der Mann im Alter von 80 Jahren. Welche Auswirkungen hat die Schenkung auf Pflichtteilsansprüche der Töchter?
Keine 10 Jahresfrist bei Eheleuten, Nießbrauch und Wohnrecht
Eigentlich werden Schenkungen mit jedem Jahr das nach der Schenkung bis zum Erbfall vergeht 10% weniger bei der Ermittlung des pflichtteilsrelevanten Nachlasses berücksichtigt, so dass nach 10 Jahren die volle Pflichtteilsreduzierung erreicht ist. Dies gilt aber nicht, wenn die Schenkung an den Ehepartner erfolgt, oder wenn sich der Schenker den Nießbrauch an der gesamten verschenkten Sache, z.B. am ganzen Hausgrundstück, vorbehalten hat.
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Im Beispielsfall würde die 10 Jahres-Frist deshalb sogar aus zwei Gründen gar nicht zu laufen beginnen, da das Grundstück an die Ehefrau (Grund 1. siehe § 2325 Absatz 3 Satz 3 BGB) und unter umfassendem Nießbrauchsvorbehalt (Grund 2- siehe BGH) verschenkt wurde. Deshalb ist der volle Grundstückswert für die Berechnung des Pflichtteils (-ergänzungs) -Anspruchs zugrunde zu legen.
Die Berechnung des Grundstückswertes für den Pflichtteilsergänzungsanspruch
Doch wie genau bestimmt man den Wert des Grundstücks? Der BGH berechnet den Wert nach dem so genannten Niederstwertprinzip in zwei Stufen. Das bedeutet: In der ersten Stufe wird festgestellt, ob der Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt des Erbfalls, oder zum Zeitpunkt der Schenkung niedriger war (es wird jeweils der inflationsbereinigte Wert zugrunde gelegt). Er nimmt dann den jeweils niedrigeren Wert für die Berechnung.
In einem zweiten Schritt wird dann der Wert der Zuwendung berechnet. Schließlich ist ein Grundstück, das mit einem Nießbrauch belastet ist, wesentlich weniger wert, als ein unbelastetes Grundstück. Ist also auf den Wert zum Zeitpunkt der Schenkung abzustellen, dann muss vom Wert des Grundstücks noch der Wert des Nießbrauchs abgezogen werden.
Ist aber auf den Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt des Erbfalls abzustellen, kann dieser Rechenschritt entfallen, da ja durch den Tod des Erblassers der Nießbrauch als Belastung wegfällt.
Wie berechnet man den Wert des Nießbrauchs?
Maßgeblich für die Berechnung ist der kapitalisierte Wert des Nießbrauchs. Dieser setzt sich aus folgenden Faktoren zusammen:
1. Aus dem jährlichen Wert des Nießbrauchs. Dieser besteht daraus, was sich der Erblasser durch den Nießbrauch erspart, also üblicherweise die zu zahlende Miete. Davon sind dann noch die vom Nießbrauchsberechtigten zu zahlenden Betriebskosten abzuziehen.
2. Aus dem Leibrentenkapitalisierungsfaktor. Dieser kann beispielsweise aus der Tabelle in Anlage 9 zu § 14 Bewertungsgesetz entnommen werden. Diese Zahl berechnet sich aus der allgemeinen Lebenserwartung des Erblassers zum Zeitpunkt der Schenkung.
Konkretes Berechnungsbeispiel:
Zur Veranschaulichung ein konkretes Berechnungsbeispiel: Im obigen Fall beträgt der Wert des Nachlasses 100.000 Euro. Der Wert des Grundstücks betrug (inflationsbereinigt) im Jahr 2000 200.000 Euro und lag im Jahr 2016 bei 220.000 Euro. Für ein vergleichbares Grundstück würde der Erblasser jährlich 15.000 Euro Miete bezahlen. Er tätigt aber auch jährlich 3.000 Euro Betriebskosten auf das Grundstück. Wie hoch ist jetzt der Pflichtteil, den die beiden Töchter gegenüber der Mutter geltend machen können?
Da der Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt der Schenkung geringer war, als zum Zeitpunkt des Erbfalls ist hier auf die 200.000 Euro im Jahr 2000 abzustellen. Von diesen muss jetzt noch der Wert des Nießbrauch abgezogen werden:
Dieser berechnet sich aus 12.000 Euro (also den 15.000 Euro jährlichem Wert des Nießbrauchs minus den Betriebskosten von 3.000 Euro) multipliziert mit dem Leibrentenkapitalisierungsfaktor. Der Erblasser war zum Zeitpunkt der Schenkung 64 Jahre alt. Nach Anlage 9 zu § 14 Bewertungsgesetz ist der Faktor für einen 64 jährigen Mann 9,313 (Achtung: Der Wert ist veränderlich). Der Wert des Nießbrauchs beträgt somit 12.000 Euro * 9,313 = 111.756 Euro.
Der Wert des Grundstücks verringert sich also auf 88.244 Euro (200.000 Euro – 111.756 Euro).
Wenn man nun diese 88.244 Euro zum restlichen Nachlasswert von 100.000 Euro hinzurechnet, kommt man auf 188.244 Euro, aus welchen man dann den Pflichtteil inklusive Pflichtteilsergänzung der beiden Töchter berechnen kann.
Jeder Tochter steht ein Pflichtteil von 1/8 des Nachlasses zu, als die Hälfte ihres gesetzlichen Erbteils von jeweils 1/4 neben dem gesetzlichen Erbteil von 1/2 der Mutter. Das bedeutet: jede Tochter kann von der Mutter einen Pflichtteil von 23.530,50 Euro fordern.
Was passiert, wenn eine Schenkung nicht an den Ehegatten erfolgt?
Wird das Hausgrundstück nicht an die Ehefrau , sondern z.B. an eine der Töchter verschenkt, läuft die 10-Jahres-Frist für die Berücksichtigung beim Pflichtteilsergänzungsanspruch an.
Verschenkt man zu Lebzeiten ein Grundstück, ist diese Schenkung bis zu 10 Jahren vor dem Erbfall bei der Berechnung des Pflichtteils mit zu berücksichtigen. Für jedes Jahr vor dem Erbfall wird aber ein Zehntel des Wertes abgezogen.
Ausnahme: Behält sich der Schenker aber den Nießbrauch an dem gesamten verschenkten Grundstück vor, ist es egal, wie viele Jahre zwischen Schenkung und Erbfall lagen. Der um den Wert des Nießbrauchs verringerte Grundstückswert ist dann voll für die Berechnung der Pflichtteile mit heranzuziehen.
Für den Pflichtteilsberechtigten kann das ein großer Vorteil sein, da er auch nach über zehn Jahren noch den Pflichtteilsergänzungsanspruch gelten machen kann.
Der Schenker hingegen, der die Pflichtteile zugunsten seiner Erben möglicht gering halten will, sollte sich eine andere Regelung einfallen lassen, z.B. das Nießbrauchsrecht auf einen Teil des Grundstücks beschränken (siehe BGH-Fall für das Wohnrecht).
Geren berate ich Sie zur Schenkung, „vorweggenommenen Erbfolge“ und zu Pflichtteilsansprüchen.