Der Pflichtteilsberechtigte hat Anspruch auf den Pflichtteil. Der Pflichtteil setzt sich zusammen aus dem ordentlichen Pflichtteil und dem Pflichtteilsergänzungsanspruch.
Bei der Pflichtteilsergänzung werden die zu Lebzeiten des Erblassers getätigten Schenkungen einbezogen.
Eigengeschenke an den Pflichtteilsberechtigten mit oder ohne Anrechnungsbestimmung
Hat der Pflichtteilsberechtigte selbst eine Schenkung erhalten, spricht man von einem „Eigengeschenk“ Die Behandlung eines „Eigengeschenks“ ist in § 2327 BGB geregelt.
Beispiel: Die Witwe Anna hinterlässt zwei Kinder, Claudia und Daniel. Claudia ist nach dem Testament von Anna Alleinerbin. Daniel ist damit enterbt und bekommt nur den Pflichtteil. Der Wert des Nachlasses beträgt 200.000 Euro. Kurz vor ihrem Tod hat Anna an Claudia zudem ein Wohnhaus im Wert von 300.000 Euro geschenkt, Daniel bekam gleichzeitig eine Ferienwohnung im Wert von 100.000 Euro.
Wegen der Schenkung des Wohnhauses würde Daniel eigentlich neben seinem Pflichtteil in Höhe von 50.000 Euro ein Pflichtteilsergänzungsanspruch aus § 2325 BGB in Höhe von 75.000 Euro gegenüber Claudia zustehen. Dieser ergibt sich, wenn man den Wert der Schenkung mit der Pflichtteilsquote von vorliegend 1/4 multipliziert. Da er jedoch mit der Ferienwohnung selbst ein Eigengeschenk erhalten hat, ist dieses gem. § 2327 BGB auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch anzurechnen. Hierzu ist der Wert sämtlicher Geschenke zu addieren (100.000 + 300.000 = 400.000) und mit der Pflichtteilsquote zu multiplizieren (1/4 * 400.000 = 100.000). Hiervon ist dann wiederum der Wert des Eigengeschenkes abzuziehen, wodurch sich vorliegend ein Betrag von 0 Euro ergibt. Daniel hat wegen der Schenkung an seine Schwester keinen Pflichtteilsergänzungsanspruch. Er bekommt nur den Pflichtteil aus dem noch vorhandenen Nachlass.
Daran würde sich auch dann nichts ändern, wenn die Schenkung der Eigentumswohnung an Daniel bereits 5 oder gar 20 Jahre vor dem Erbfall erfolgt ist. Denn die Abschmelzungsregelung des Pflichtteilsergänzungsanspruches gemäß § 2325 Abs. 3 BGB, wonach eine Schenkung nur im ersten Jahr vor dem Erbfall in vollen Umfang berücksichtigt wird und innerhalb von zehn Jahren in Zehn-Prozent-Schritten abschmilzt, gilt bei der Berücksichtigung von Eigengeschenken gerade nicht.
§ 2327 Absatz 1 BGB regelt zwei Fälle.
Ist ein Geschenk des Erblassers an den Pflichtteilsberechtigten bei der Schenkung nicht als anrechnungspflichtig erklärt worden, muss sich der Pflichtteilsberechtigte dessen Wert nur auf seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen lassen (§ 2327 Absatz 1 Satz 1 BGB).
Ist eine Schenkung des Erblassers nach § 2315 BGB für anrechnungspflichtig erklärt worden, muss sich der Pflichtteilsberechtigte den Wert des Geschenks sowohl auf den Pflichtteilsanspruch als auch auf den Pflichtteilsergänzungsanspruch anrechnen lassen (§ 2327 Absatz 1 Satz 2 BGB).
Anrechnungsbestimmung wird bei Schenkung meist vergessen
Bei einer Schenkung macht sich der Schenker in der Regel noch keine Gedanken über eine spätere Erbauseinandersetzung.
In der Praxis wird daher häufig bei der Schenkung keine Anrechnungsbestimmung getroffen. Dies gilt insbesondere für Geldschenkungen zu Lebzeiten.
Dies ist der erste Fall des § 2327 BGB (§ 2327 Abs. 1 Satz 1 BGB).
Der Pflichtteilsberechtigte muss sich einen etwaigen Überschuss nicht zusätzlich auf den ordentlichen Pflichtteil anrechnen lassen.
Übersteigt der Wert der eigenen Zuwendung seinen Pflichtteilsergänzungsanspruch, so verbleibt ihm der übersteigende Betrag uneingeschränkt.
Fazit: Schon bei Schenkung über spätere Pflichtteilsproblematik nachdenken
Ob und inwieweit Eigengeschenke des Pflichtteilsergänzungsberechtigten sowohl auf seinen Ergänzungs- als auch auf den ordentlichen Pflichtteilsanspruch anzurechnen sind, hängt also davon ab, ob die Schenkung vom Erblasser im Einverständnis mit dem Beschenkten als anrechnungspflichtig nach § 2315 BGB erklärt wurde oder nicht.
Insbesondere in notariellen Grundstücksübertragungsverträgen sollte eine solche Regelung zur Klarstellung, wie die Schenkung später pflichtteilsrechtlich zu berücksichtigen ist, enthalten sein.
Auch bei anderen Zuwendungen, die nicht der notariellen Form unterliegen(Geldgeschenke, Wertpapiere, Fahrzeuge, Schmuck etc.) sollte eine solche Regelung getroffen werden, um spätere Streitigkeiten von vornherein auszuschließen. Daher muss es eine schriftliche Regelung zwischen Schenker und Beschenktem geben.
Lassen Sie sich – auch bei lebzeitigen Schenkungen – beraten.
Alexander Grundmann, Rechtsanwalt für Erbrecht in Leipzig
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