aktualisiert am 4. Februar 2022
Bei der Berechnung von Pflichtteilsansprüchen gibt es immer wieder Streit. Für die Berechnung des Pflichtteils wird der Bestand und Wert des Nachlasses zur Zeit des Erbfalles zugrunde gelegt, § 2311 Abs. 1 Satz 1 BGB. Der Pflichtteilsberechtigte kann eine Zahlung in der Höhe fordern, als sei der Nachlass beim Tod des Erblassers in Geld umgesetzt worden.
Was das für die Ermittlung des Wertes insbesondere bei Grundstücken im Nachlass bedeutet, hat der BGH schon mehrfach entschieden, interessant ist ein Beschluss vom 25. November 2010 – IV ZR 124/09:
Streit um Wert des Pflichtteils
Wie so oft wurde um Pflichtteils- und Pflichtteilsergänzungsansprüche gestritten. Eine Frau hatte ihre beiden Kinder, eine Tochter und einen Sohn, zu ihren testamentarischen Vorerben eingesetzt. Nacherben und Ersatzerben der Vorerben waren die beiden Söhne des Sohnes, also die Enkel der Frau.
Nach dem Tod der Frau im Januar 2001 schlug die Tochter die Erbschaft aus.
Zum Nachlass gehören drei Grundstücke bzw. Anteile daran. Um die Bewertung der Grundstücke zur Ermittlung des Nachlasswertes entstand Streit. Es gab zwar Wertgutachten, die Grundstücke wurden aber zu anderen – geringeren – Preisen verkauft.
Bei einem mit einem Haus bebauten Grundstück z.B. wurde der Verkehrswert vom Gutachterausschuss der Stadt, in der das Grundstück liegt, zum 1. Mai 2001 auf 499.500 DM geschätzt. Die Erben verkauften dieses Hausgrundstück am 21. Oktober 2002 aber für nur 175.000 €.
Beim Pflichtteil Verkaufspreis ausschlaggebend
Maßgeblich für den Wert von Nachlassgegenständen wie einem Grundstück ist der Verkehrswert.
Der Verkehrswert wird durch ein Wertgutachten eines Immobilien-Sachverständigen ermittelt. Jedes Wertgutachten ist aber nur eine auf Fakten basierte Schätzung und daher mit Unsicherheiten verbunden. Deshalb sagt der Bundesgerichtshof, dass sich die Bewertung von Nachlassgegenständen, die kurz nach dem Erbfall veräußert worden sind, grundsätzlich an dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis orientieren muss.
Der tatsächlich erreichte Preis ist ein wesentlicher Anhaltspunkt für die gerichtliche Schätzung des Verkehrswerts (§ 287 ZPO), auch wenn der Verkaufspreis niedriger ausfällt als anhand der im Wertgutachten festgehaltener allgemeiner Erfahrungswerte zu erwarten gewesen wäre.
Beweislast für den Wert?
Die Beweislast für den Wert des Grundstücks zum Zeitpunkt des Erbfalls hat der Pflichtteilsberechtigte.
Darlegungs- und beweispflichtig für alle Tatsachen, von denen die Höhe des von ihm erhobenen Pflichtteilsanspruchs abhängt, ist der Pflichtteilsberechtigte.
Weil für die Berechnung des Verkehrswerts grundsätzlich der Verkaufserlös anzusetzen ist, trifft den Pflichtteilsberechtigten – wenn er auf einen anderen Wert hinaus will – auch die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass der Verkaufserlös nicht dem Verkehrswert im Zeitpunkt des Erbfalles entspricht.
Dazu muss der Pflichtteilsberechtigte darlegen und beweisen, dass sich beim Verkauf des Grundstücks unter Schätzwert der Immobilienmarkt seit dem Zeitpunkt des Erbfalles verändert hat.
Aber auch beim Verkauf des Grundstücks über dem Schätzwert trägt der Pflichtteilsberechtigte die Beweislast dafür, dass die Marktverhältnisse seit dem Erbfall im Wesentlichen unverändert geblieben sind. Grund dafür ist, dass bei der Beweislast nicht danach differenziert wird, ob das Grundstück über oder unter dem Schätzwert verkauft wurde.
Auch für eine erfolgte oder unterbliebene bauliche Veränderungen des Grundstücks nach dem Erbfall trifft den Pflichtteilsberechtigten die Beweislast.
Der spätere, höhere Verkaufspreis sei – so der BGH – auch dann ausschlaggebend, wenn der Erbe nicht wesentliche Veränderungen der Bausubstanz darlegen könne. Hierbei geht es aber ausschließlich um die Darlegungslast. An der Beweislast des Pflichtteilsberechtigten ändert sich hingegen nichts.
Das gilt auch wenn der Pflichtteilsberechtigte behauptet, die Erben hätten das Grundstück und das Haus nach dem Erbfall “verkommen” lassen, so dass es erst nach dem Erbfall zu einer Wertminderung gekommen sei.
Verkaufspreis gilt auch bei sehr spätem Verkauf
Der Grundgedanke, dass eine Bewertung, die an einen konkreten Verkauf des betreffenden Gegenstandes anknüpfen kann, den Vorzug vor einer Schätzung verdient, die sich nur an allgemeinen Erfahrungswerten orientiert, ist grundsätzlich auch bei einem größeren zeitlichen Abstand zwischen Erbfall und Veräußerung gültig.
Dabei kann auf den höheren Verkaufspreis auch dann noch abgestellt werden, wenn zwischen Erbfall und Verkauf ein Zeitraum von dreieinhalb Jahren liegt, so der BGH. Voraussetzung dafür ist, dass der Pflichtteilsberechtigte beweist, dass die Marktverhältnisse seit dem Erbfall im Wesentlichen unverändert geblieben sind und andererseits die Erben keine wesentliche Veränderung der Bausubstanz darlegen können.
Fazit: Die Bewertung von Nachlassgegenständen, die nach dem Erbfall verkauft werden, orientiert sich am tatsächlich erzielten Verkaufspreis. Das gilt auch, wenn z.B. ein Grundstück zu einem Preis verkauft wird, der über oder unter dem durch einen Sachverständigen ermittelten Grundstückswert liegt.
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 25. November 2010 – IV ZR 124/09
(Zum gleichen Thema auch: Bundesgerichtshof – Beschluss vom 08. April 2015 – IV ZR 150/14)
Andererseits hat der Bundesgerichtshof festgestellt, dass der Pflichtteilsberechtigte auch dann noch einen Anspruch auf Ermittlung des Verkehrswertes eines Hausgrundstücks durch Sachverständigen hat, wenn das Grundstück schon verkauft wurde und damit ja ein Wert da wäre, aus dem man den Pflichtteil berechnen kann, BGH, Urteil vom 29.09.2021 – IV ZR 328/20.
Für Ihre Fragen zum Pflichtteilsrecht:
Rechtsanwalt Alexander Grundmann, Leipzig
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