Update 20. Dezember 2019 und 25. September 2024
Durch die von Ehegatten oft gewünschte Alleinerbschaft des überlebenden Ehegatten wird sein Kind, bzw. seine Kinder von der gesetzlichen Erbfolge ausgeschlossen. Nicht ausgeschlossen werden kann das Pflichtteilsrecht der Kinder gegenüber ihrem jeweiligen Elternteil.
Konkretes Beispiel: Stirbt Herr Erblasser und erbt Frau Erblasser allein, ist Sohn Erblasser enterbt, kann aber gegenüber Frau Erblasser seinen Pflichtteilsanspruch, der wertmäßig die Hälfte seines gesetzlichen Erbteils entspricht, geltend machen.
Pflichtteilsstrafklausel verhindert Pflichtteil?
Im gemeinschaftlichen Ehegattentestament werden, um die Kinder von der Geltendmachung von Pflichtteilsansprüchen abzuhalten, sogenannte Pflichtteilsstrafklauseln aufgenommen.
Hintergrund: Pflichtteilsstrafklausel: Darunter ist eine Klausel im Ehegattentestament zu verstehen, nach denen der eingesetzte Erbe sein Erbrecht verlieren soll, wenn er nach dem ersten Erbfall den Pflichtteil verlangt.
Im Kern funktionieren diese so, dass ein Kind, das im ersten Erbfall den Pflichtteilsanspruch geltend macht, im zweiten Erbfall nichts erbt.
Das soll von der Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs im ersten Erbfall abschrecken.
Risiken von Pflichtteilsstrafklauseln im Ehegattentestament
Pflichtteilsstrafklauseln können auch zu völlig ungewünschten Ergebnissen führen: Bei Pflichtteilsstrafklauseln ist daher immer höchste Vorsicht geboten, z.B.:
Pflichtteilsstrafklausel im notariellen Testament
Problematisch an einer solchen Pflichtteilsklausel ist: Die Pflichtteilsstrafklausel kann die Tauglichkeit des notariellen Testaments als Erbnachweis im Sinne der Grundbuchordnung beeinträchtigen. Es war lange streitig, ob das Grundbuchamt bei eineme notariellen Testament, dass eine Pflichtteilsstrafklausel enthält, trotzdem die Vorlage eines Erbscheins verlangen kann oder ob es ausreicht, dass eine eidesstattliche Versicherung vorgelegt wird, die die Erklärung enthält, dass kein Pflichtteilsrecht geltend gemacht wurde.
Anders gesagt, die Pflichtteilsstrafklausel gefährdet die Idee, durch das notarielle Testament spätere Erbscheinskosten und den Aufwand der Beantragung eines Erbscheins zu sparen.
Der Bundesgerichtshof hat in einer Entscheidung 2016 festgestellt.
"Enthält ein notarielles Testament eine allgemein gehaltene Verwirkungsklausel oder eine spezielle Verwirkungsklausel mit nicht eindeutigen Verhaltensanfor- derungen, erfordert der Nachweis der Erbfolge in der Regel die Vorlage eines Erbscheins." BGH, Beschluss vom 2. Juni 2016 - V ZB 3/14
In dem dort zu entscheidenden Fall hatte das Grundbuchamt keinen Erbschein verlangt und einen Nichterben (der seinen Pfllichtteil nach dem ersten Elternteil verlangt und nach der Pflichtteilsklausel im zweiten Erbfall enterbt war) eingetragen. Der BGH stellte fest: Das Grundbuchamt hätte die Eintragung aber nicht ohne Vorlage eines Erbscheins vornehmen dürfen.
Pflichtteilsstrafklausel im Testament der Eheleute mit vorehelichen Kindern = Patchwork-Familie
Wenn die Eheleute nicht mit allen „ihren Kindern“ verwandt sind, produziert man mit der Standard-Pflichtteilsstrafklausel Unklarheit!
Beispiel: Anna und Benno sind verheiratet, sie haben einen gemeinsamen Sohn. Anna hat eine Tochter mit in die Ehe gebracht, die dadurch nicht mit Benno verwandt ist. Damit gehört sie nicht zum Kreis der Pflichtteilsberechtigten beim Tod von Benno. Die Eheleute haben ein Berliner Testament gemacht und ohne das weiter zu hinterfragen, eine Standard-Formulierung einer Pflichtteilsstrafklausel aufgenommen. Sinngemäß: Die Eheleute beerben sich gegenseitig als Alleinerbe. Die Kinder werden Schlusserben, bekommen aber nur den Pflichtteilsanspruch, wenn sie beim Tod des ersten Ehegatten den Pflichtteil fordern. Die Mutter stirbt zuerst, die Tochter hat ihren Pflichtteil gefordert. Was bekommt die nichteheliche Tochter im zweiten Erbfall? Durch die Pflichtteilsstrafklausel ist die Tochter jedenfalls enterbt. Sie hätte aus gesetzlicher Erbfolge nichts bekommen, aber aus dem Testament. Da sie nach dem Tod von Benno nicht pflichtteilsberechtigt ist, ist sie mit der Pflichtteilsstrafklausel als Sanktion für die Geltendmachung des Pflichtteilsanspruchs enterbt worden. Von Gesetzes wegen stünde ihr auch kein Pflichtteilsanspruch zu, aber dieser steht ja so im Testament. Da das Testament nicht klar ist, muss es ausgelegt werden. Auslegung bedeutet immer Unsicherheit.
Eine Auslegung könnte dahingehend erfolgen, dass das nicht pflichtteilsberechtigte Kind einen Anspruch in Höhe des Erbteils nach dem Erstversterbenden, aber beschränkt auf dessen Vermögen hat, BGH, Urteil vom 27. Februar 1991 – IV ZR 293/89. (Diese Auslegung scheint aber eher mit der Besonderheit des vom BGH verhandelten Falles zusammen zu hängen, in dem es noch eine Wiederverheiratungsklausel gab, Seiten 11ff.)
Eine Auslegung des Testaments kann aber auch dazu führen, dass man die Regelung im Testament als Vermächtnis versteht. Der Vermächtnisanspruch entspräche dann dem, was die Tochter als Pflichtteil verlangen könnte, als sei sie ein leibliches Kind, vgl. Testamentsauslegung Horn/Krois 2. Aufl. 2019 Seite 356 Rn. 26.
Weiteres Problem dieser Pflichtteilsstrafklausel wäre:
Selbst wenn man zu der Auslegung kommt, es gibt ein Vermächtnis in Höhe des fiktiven Pflichtteils, wäre dann die weitere Frage, ob sich das nur auf den tatsächlichen Nachlass bezieht oder auch auf frühere Schenkungen beziehen soll. Hier geht es um den sogenannten Pflichtteilsergänzungsanspruch. Dieser soll sicherstellen, dass man den Pflichtteilsanspruch nicht aushöhlt, indem man sich vorher „arm schenkt“.
Bezüglich des Pflichtteilsergänzungsanspruchs könnte man argumentieren, dass der zu einem solchen Vermächtnis nicht gehört, weil der Pflichtteilsergänzungsanspruch ein eigenständiger Anspruch ist, der den gesetzlichen Pflichtteil nur schützen soll. Da Auslegung aber immer nur für den einzelnen Fall erfolgt, ist auch das nicht sicher.
Alternativen zur Pflichtteilsstrafklausel
Vor-Nacherbschaft in zwei Testamenten der Eheleute
Man errichtet zwei Einzeltestamente und jeder Ehegatte setzt den jeweils anderen Ehegatten als Vorerben und diejenigen, die er/sie nach dessen/deren Tod bedenken wollen, als Nacherben ein.
Grundsätzlich hat der Nacherbe keinen Pflichtteilsanspruch. Ist er pflichtteilsberechtigt, kann er jedoch das Erbe ausschlagen und seinen Pflichtteilsanspruch geltend machen (§ 2306 Abs. 2 BGB). Damit erbt er aber dann auch später als Nacherbe nichts, weil er ja ausgeschlagen hat.
Probleme dieser Gestaltung: Der überlebende Ehegatte wird nur Vorerbe – rechtlich so eine Art Treuhänder. Er kann nur dann über die einzelnen Nachlassgegenstände ohne Zustimmung des Nacherben verfügen, wenn Sie ihn von dahingehenden Pflichten befreien (befreiter Vorerbe gemäß § 2136 BGB).
Keine Pflichtteilsstrafklausel bei Aufhebung der Bindung im Ehegattentestament
Oder man regelt im Testament gar nichts dazu. Sanktion für ein Kind, dass den Pflichtteil nach dem Versterben des ersten Ehegatten verlangt, könnte dann sein, dass der Überlebende dieses Kind einfach enterbt. Das Kind hat dann im Normalfall nur den Pflichtteilsanspruch.
Voraussetzung dafür ist aber, dass im gemeinsamen Ehegattentestament die Verfügung zugunsten der Kinder nicht bindend („wechselbezüglich“) ist.
Wenn dieses Kind z. B. in der Patchworkfamilie – mit dem überlebenden Ehegatten nicht blutsverwandt ist, hätte es noch nicht mal einen Pflichtteilsanspruch.
Fazit: Übernehmen Sie Standardformulierungen wie Pflichtteilsstrafklauseln nicht einfach aus Mustertestamenten. Lassen Sie sich bei der Testamentsgestaltung beraten.
Ich helfe Ihnen bei Ihrem individuellen Ehegattentestament!
Rechtsanwalt Alexander Grundmann in Leipzig
Rechtstipps und Urteile