update 17. November 2022: Ich habe den Prozessverlauf – zwei mal durch alle Instanzen – nochmal im Überblick dargestellt. Hier geht es zum Facebook-Fall.
Der Vertrag zwischen Anbietern sozialer Netzwerke und deren Nutzern ist vererbbar – so hat es der Bundesgerichtshof entschieden. Verstirbt ein Nutzer, haben die gesetzlichen Erben Anspruch auf Zugang zum Nutzerkonto samt der darin enthaltenen Inhalte.
Mutter will mehr über Tod ihrer Tochter in deren Nutzerkonto erfahren
Ein 15-jähriges Mädchen verstarb infolge eines U-Bahn-Unglücks. Um die Todesumstände genauer aufzuklären, wollte ihre Mutter sich in das Facebook-Konto der Verstorbenen einloggen. Da sich das Konto im Gedenkzustand befand, erhielt sie keinen Zugang, obwohl sie über die nötigen Daten verfügte. Sie verklagte Facebook darauf, ihr Zugang zum Konto samt der privaten Posts und Nachrichten zu erhalten.
Am Landgericht Berlin bekam die Mutter zunächst Recht. Im Berufungsverfahren am Kammergericht Berlin wurde die Klage hingegen zugunsten von Facebook abgewiesen. (Zum Verfahrensablauf haben wir in einem früheren Artikel berichtet. ) Begründet wurde dies mit dem Telekommunikationsgeheimnis. Dieses schütze auch die privaten Chats und Posts, die über das Nutzerkonto z.B. bei Facebook abrufbar sind. Deswegen könne der Mutter kein Zugang gewährt werden.
Bundesgerichtshof: Facebook muss Mutter Zugang zum Nutzerkonto gewähren
Dagegen schließt sich der Bundesgerichtshof – zugnsten der Eltern – dem Landgericht Berlin an. Die verstorbene Tochter hatte einen Nutzungsvertrag mit Facebook geschlossen, der ihr das Recht gibt, Zugang zu den Kommunikationsinhalten zu erhalten. Dieses Zugangsrecht wird, wie der andere Nachlass auch, gemäß § 1922 Abs. 1 BGB vererbt.
Das Telekommunikationsgeheimnis steht dem – nach Auffassung der Bundesrichter – nicht entgegen. Nach § 88 Abs. 3 TKG dürfen soziale Netzwerke „anderen“ keine Informationen zu Kommunikationsinhalten verschaffen. Erben sind nach Auffassung der Bundesrichter aber keine „anderen“, da sie vollständig in die Position des verstorbenen Nutzers eintreten. Sie haben dann das Recht auf Zugang.
Diesen Zugang muss Facebook den Erben gewähren, auch wenn sich das Nutzerkonto im Gedenkzustand befindet. Der Gedenkzustand ist nicht in den Nutzungsbedingungen geregelt und ändert nichts am vertraglichen Zugangsrecht.
Außerdem müssen die Nutzer sozialer Netzwerke damit rechnen, dass ihre Kommunikationsinhalte von Dritten wahrgenommen werden. Das kann durch einen missbräuchlichen Zugang geschehen, oder dadurch, dass der Kontonutzer seine Zugangsdaten an andere weitergibt. Laut Bundesgerichtshof können Nutzer jedenfalls nicht darauf vertrauen, dass Chats, Fotos etc. überhaupt nicht von anderen eingesehen werden.
Darüber hinaus werden persönliche Briefe und Tagebücher vererbt. Das Bundesgericht fand keinen rechtlichen Grund, digitale Inhalte anders zu behandeln.
Außerdem ist die Verstorbene weder durch das postmortale Persönlichkeitsrecht, noch durch die Datenschutz-Grundverordnung geschützt. Letztere gelte nur für lebende Personen.
An digitale Vorsorge denken!
Der Bundesgerichtshof nahm damit Stellung zu einem grundlegenden lange diskutierten rechtlichen Problem, der Vererbbarkeit digitaler Verträge. Damit ist auch geklärt, dass kein neues Gesetz über den digitalen Nachlass notwendig ist, was von vielen Juristen gefordert wurde. Angesichts des klaren Urteils hat sich das erledigt.
Rechtsunsicherheiten bleiben dennoch. Im Koalitionsvertrag der aktuellen Regierungskoalition wurde eine Regelung zum digitalen Nachlass angekündigt. Obwohl diese jetzt nicht mehr nötig ist, könnte ein Gesetz ergehen. Dadurch könnten sich die rechtlichen Rahmenbedingungen ändern. Außerdem kann in anderen Erbrechtsfällen der Zugang der Erben zum Nutzerkonto verwehrt werden, zum Beispiel, wenn die Erben und der Verstorbene kein enges Verhältnis hatten. Dann wäre die Weitergabe privater Kommunikation auch bei Facebook wohl nicht gerechtfertigt.
Möglichkeiten für den Nachlass bei Facebook
Facebook bietet derzeit zwei Möglichkeiten an, was nach dem Tod mit den Nutzerseiten passiert. Facebook-Nutzer können bestimmen, ihr Nutzerkonto nach ihrem Tod löschen lassen. Dann ist dieses zumindest nicht mehr im Internet sichtbar. Oder Sie setzen für den Fall ihres Todes einen Verwalter ein. Dieser kann das Profilfoto ändern und einen Nachruf posten. Zugang zum Nutzerkonto mit den privaten Posts und Nachrichten hat der Verwalter aber nicht. In dem entschiedenen Fall hätte die Mutter somit auch als Verwalterin keinen Zugang auf die dringend benötigten Informationen bekommen. Aber Facebook dürfte seine Regelungen zum digitalen Vererben nach dem Urteil anpassen. Hier bleibt also die Entwicklung abzuwarten.
Fazit: Ich empfehle Ihnen, sich mit diesen Fragen auseinanderzusetzen und diese zu regeln. In einem Testament kann eine Person bestimmt werden, die Zugang zum Nutzerkonto erhält und alle Inhalte einsehen und ändern kann. Derartige Fragen zu regeln, erspart den Angehörigen etliche Probleme, zum Beispiel, wie Posts und Bilder im Internet verändert oder gelöscht werden können. Ich berate Sie.
Bundesgerichtshof, Urteil vom Urteil vom 12. Juli 2018, Az.: III ZR 183/17
Vorinstanzen: Kammergericht, Urteil vom 31.05.2017 – 21 U 9/16
Landgericht Berlin, Urteil vom 17.12.2015 – 20 O 172/15
Und der Streit ging noch weiter: Mehr zum Facebook- im-Erbrecht-Fall.
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