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11. Juni 2018 – Digitaler Nachlass Teil 4 – Neue Gesetze notwendig?

update 17. November 2022:  Die unten diskutierten Fragen sind, durch zwei Entscheidungen des BGH in dem Facebook-Fall geklärt.

Ich habe hier den Prozessverlauf  und den rechtlichen Ausgang nochmal im Überblick dargestellt.

 

Aus der derzeitigen rechtlichen Situation beim Digitalen Nachlass ergibt sich nach dem Facebook-Urteil des Kammergerichts Berlin  – Urteil vom 31.05.2017- 21 U 9/16 – die Frage, ob ein neues Gesetz notwendig ist, damit ein Erbe auch Zugriff auf Social Media Accounts bekommen kann. Den  Meinungsstand kann man so zusammenfassen:

Neues Gesetz nötig

Eine Meinung ist mit dem Kammergericht Berlin der Auffassung, dass ein neues Gesetz nötig ist, das den Provider zum Eingriff in das Fernmeldegeheimnis des Erblassers und seiner Kommunikationspartner ermächtigt.

Die Meinung stützt sich auf die DAV- Stellungnahme zum Digitalen Nachlass, Nr. 34/2013, S. 7, die sagt, dass E-Mails und andere dem Telekommunikationsgeheimnis unterliegende Daten, die sich nicht auf dem Server des Erblassers, sondern auf dem Server eines Internetproviders befinden, dem Fernmeldegeheimnis unterliegen des § 88 TKG bzw. den Regelungen des Artikel 10 GG (BVerfG 115, 166, 185, 187;120, 274, 307 f.)

Es stehen sich zwei Grundrechtspositionen gegenüber: Fernmeldegeheimnis ./. Erbrecht.

Der Ausgleich würde über „praktische Konkordanz“ erfolgen. Das Erbrecht würde überwiegen, wegen des qualifizierten Gesetzesvorbehalts, aber erst nachdem eine neue gesetzliche Regelung geschaffen wurde – Mayen in DAV Digitaler Nachlass, S. 69, 75.

Der konkrete Vorschlag dazu aus der DAV Stellungnahme Digitalen Nachlass, S. 6

88 TKG wird um folgenden Abs. 5 ergänzt:

(5) 1Gehen gemäß § 1922 des Bürgerlichen Gesetzbuches Vertragsbeziehungen oder einzelne Ansprüche über Telekommunikationsdienste oder über Telekommunikationsinhalte im Wege der Universalsukzession über, so besteht die Befugnis des Diensteanbieters nach Absatz 3 Satz 2 auch gegenüber dem Gesamtrechtsnachfolger sowie gegenüber solchen Personen, die gemäß 43c in das Vertragsverhältnis des Teilnehmers eintreten. 2 Der Diensteanbieter kann diesen Personen insbesondere in gleicher Weise Zugang zu den bei ihm gespeicherten Daten gewähren wie dem ursprünglichen Teilnehmer.

Gegenmeinung: Kein neues Gesetz nötig

Nach anderer Auffassung ist das Verschaffen des Zugangs für Erben zu online gespeicherten Inhalten und Kommunikation keine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses.

Landgericht Berlin im Facebook-Fall

Das Landgericht Berlin – Urteil vom 17.12.2015 – 20 O 172/15 – sagt dazu in Rn 34:  „Einer Einwilligung sämtlicher Kommunikationspartner bedarf es nämlich dann nicht, wenn das Verschaffen von Kommunikationsinhalten im Rahmen des für die geschäftsmäßige Erbringung erforderlichen Maßes im Sinne von § 88 Abs. 3 Satz 1 TKG liegt.“ Und „Da die Beklagte grundsätzlich nach erbrechtlichen Vorschriften auch verpflichtet ist, der Erbengemeinschaft den zu ihrem Nachlass gehörigen Account zugänglich zu machen, ist das “erforderliche Maß” als gewahrt anzusehen.“

Herzog/Pruns, Der digitale Nachlass in der Vorsorge und Erbrechtspraxis, ZERB-Verlag 2018 (zitiert als Herzog/Pruns)  S. 85ff., führen als praktisches Argument ins Feld: Wenn sich das Leben ins Digitale verlagert, sind für die Abwicklung des Nachlasses notwendige Informationen eben auch überwiegend in E-Mails und Social Media Accounts zu finden, Ziel des TKG ist es nicht, die Nachlassabwicklung unmöglich zu machen.

Erbe nicht Dritter

Hauptargument von Herzog/Pruns, S. 85ff. ist aber, dass der Erbe aufgrund der Universalsukzession nicht Dritter nach § 88 TKG ist.

und:

Rechte der Kommunikationspartner seien nicht betroffen: Die Pflicht der Anbieter beschränkt sich darauf, die Kommunikationsinhalte an einen anderen Account oder E-Mail-Adresse zu übertragen, egal ob Zustellung zu Lebzeiten oder nach dem Tode des Accountinhabers.

Der von Herzog/Pruns, S. 87, gezogene Vergleich mit dem Bankgeheimnis, dass auch nicht Weitergabe der Kontoinformation an Erben verhindert, dürfte aber nicht passen, weil es keine Rechte Dritter gibt, etwa Zahlungsempfänger, die mit dem Fernmeldegeheimnis vergleichbar wären,

Etwas mehr – aber auch nicht wirklich – überzeugt das Argument, dass z.B. persönliche Briefe auch an die oder den Erben vererbt werden.

Konkludente Einwilligung der Kommunikationspartner

Aber jedenfalls gäbe es, auch wenn man § 88 TKG für anwendbar hält, eine konkludente Einwilligung der Kommunikationspartner des Erblassers.

Indem die Kommunikationspartner an den (späteren) Erblasser Nachrichten schicken, wird die Einwilligung in die Kenntnisnahme der Inhalte durch den Erblasser erklärt.

Letztlich ist das eine Auslegung des Willens der Kommunikationspartner: Wer etwas schickt, ist auch damit einverstanden, dass das nicht nur beim Diensteanbieter, sondern z.B auch auf der Festplatte gespeichert wird. Dann hat aber nicht nur der Erblasser ohne Zutun des Diensteanbieters Zugriff, sondern auch die Erben.

Die Einwilligung gilt somit gegenüber Erben fort, nur im Ausnahmefall – bei Daten aus dem Kernbereich der privaten Lebensgestaltung des Kommunikationspartners – gibt es einen Löschungsanspruch.

Anders sieht das Kammergericht – Urteil vom 31.05.2017- 21 U 9/16 – die Einwilligung, Rn 107: In der Teilnahme an Facebook-Kommunikation liegt keine Einwilligung in die Weitergabe auch an Erben, weil es Facebook-Richtlinien zum Gedenkmodus gäbe, die eine Weitergabe der Kommunikation an die Erben verhindern.

Bei diesem Gegenargument drängt sich aber die Frage auf, ob die Facebook-Richtlinien nicht gegen § 307 BGB (so im Gegensatz zum Kammergericht das Landgericht Berlin, Rn 33) verstoßen.

Dann wird für die Argumentation noch ein Vergleich mit der Situation gezogen, wenn der Erbe mit den Zugangsdaten des Verstorbenen ohne Aktion des Dienstleisters auf den Account zugreift. Da das TKG nur Anbieter bindet, wäre das auch keine Verletzung. Der Vergleich taugt daher auch eher nicht, weil das eben eine ganz andere Situation ist.

Letztlich wird vermutlich die Entscheidung des BGH auch darüber Klarheit verschaffen, ob der Gesetzgeber eine neue gesetzliche Grundlage schaffen muss, damit das Fernmeldegeheimnis nicht der Vererbung von Accounts entgegensteht. Der BGH führt das Verfahren unter III ZR 183/17, vorgesehener Verhandlungstermin ist am 21. Juni 2018.

Update 16. Juli 2018 : Der Bundesgerichtshof hat mit Urteil vom Urteil vom 12. Juli 2018 entschieden, dass die Erben Zugang zum sozialen Netzwerk erhalten und die derzeitigen Regelungen auch für den digitalten Nachlass ausreichen. Nähere Informationen dazu finden Sie hier. Damit dürfte die Diskussion darum, ob neue Gesetze für den digitalten Nachlass notwendig sind, erstmal beendet sein. 2020: Es ging noch weiter. Hier geht es zum gesamten Facebook-Fall.

Ihr Ansprechpartner zu Fragen des Digitalen Nachlasses

Rechtsanwalt Alexander Grundmann
Grundmann Häntzschel Rechtsanwälte Leipzig

Lesen Sie auch die weiteren Artikel zum Thema Digitaler Nachlass:

Teil 1: Grundüberlegungen

Teil 2: Facebook-Fall beim LG und Kammergericht Berlin

Teil 3: Rechtliche Fragen

Teil 5: Digitale Vorsorge

Teil 6: Facebook, Google und die Nachlassplanung

Rechtstipps und Urteile

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