Anschließend an den Artikel zum Notvertretungsrecht der Ehegatten:
Verhältnis Notvertretungsrecht zur Vorsorgevollmacht
Die wirksame Vorsorgevollmacht schließt das Notvertretungsrecht des Ehegatten – wie eben bereits gesehen – aus, § 1358 III Nr. 2 lit. b) BGB. Hintergrund ist, dass eine durch den erkrankten Ehegatten im Vorfeld getroffene Regelung immer Vorrang vor dem gesetzlichen Notvertretungsrecht haben soll. Dies entspricht auch dem Grundgedanken der Privatautonomie des Zivilrechts – (Münchener Kommentar zum BGB – MüKoBGB/Roth, 9. Aufl. 2022, BGB § 1358 Rn. 17).
Den Beteiligten, das heißt dem gesunden Ehepartner oder dem behandelnden Arzt, muss aber bekannt sein, dass es eine Vorsorgevollmacht gibt.
„Auch hier knüpft das Gesetz nicht an die Vollmachterteilung als solche an, sondern an die Kenntnis. […] Eine Ermittlungspflicht des Ehegatten besteht auch hier nicht. Die lediglich bestehende Möglichkeit, eine Vorsorgevollmacht zu erteilen, hindert den Eintritt des Vertretungsfalles nicht.“ – (MüKoBGB/Roth, 9. Aufl. 2022, BGB § 1358 Rn. 17)
Daher ist es sinnvoll, dem Ehepartner mitzuteilen, ob und wer eine Vorsorgevollmacht hat. Auch aus diesem Grund empfiehlt sich die Registrierung der Vorsorgevollmacht beim Zentralen Vorsorgeregister. Ärzte können gemäß § 78b I BNotG um Auskunft aus dem Zentrale Vorsorgeregister ersuchen, soweit dies: „[…] für die Entscheidung über eine dringende medizinische Behandlung erforderlich ist.“
– https://www.vorsorgeregister.de/aerzte
Wie wirkt sich die Vorsorgevollmacht im Zusammenhang mit dem Notvertretungsrecht konkret aus?
Relevant im Zusammenhang mit Vorsorgevollmacht und Notvertretungsrecht sind zwei Punkte:
1. Kein Zusammenwirken von Notvertretungsrecht und Vorsorgevollmacht
Das Notvertretungsrecht der Ehegatten und die Vorsorgevollmacht ergänzen sich nicht. Die Vorsorgevollmacht schließt das Notvertretungsrecht des Ehegatten aus. Daher kann ein Ehegatte kein Notvertretungsrecht nach § 1358 BGB ausüben, wenn der kranke Partner umfassende Vorsorgevollmacht an seinen Ehepartner oder an einen Dritten erteilt hat. Insbesondere, wenn die umfassende Vorsorgevollmacht dem Ehepartner erteilt wurde, greift nicht das Notvertretungsrecht, sondern die Vorsorgevollmacht.
Beispiel: Anna und Benno sind verheiratet. Anna denkt, dass Benno keine Vorsorgevollmacht braucht, weil ihm das Notvertretungsrecht der Ehegatten nach § 1358 BGB zustehen würde. Anna hat aber ihrer Tochter Christin eine Vorsorgevollmacht erteilt mit der Vorstellung, dass dann sowohl Tochter Christin als auch Ehemann Benno Entscheidungen zu ihrer Gesundheitssorge treffen könnten. Anna fällt in ein Koma. Lösung: Anna irrt sich. Nur Christin ist berechtigt, Anna zu vertreten, weil die Vorsorgevollmacht das Vertretungsrecht des Ehemanns Benno aus § 1358 BGB ausschließt. Für das von ihr gewollte Ergebnis hätte Anna auch Benno eine Vorsorgevollmacht erteilen müssen.
2. Wiederaufleben des Notvertretungsrechts bei Widerruf der Vorsorgevollmacht
Wird eine Vorsorgevollmacht widerrufen, besteht kein Ausschlussgrund hinsichtlich des Notvertretungsrechts mehr. Das heißt, dass das Notvertretungsrecht der Ehegatten dann wieder auflebt.
Beispiel: Anna und Benno sind verheiratet. Anna möchte Benno nicht mit ihrer Gesundheitssorge im Krankheitsfall belasten. Anna erteilt ihrer Tochter Christin daher eine Vorsorgevollmacht. Nachdem sich Anna mit Christin zerstritten hat, widerruft sie die Vorsorgevollmacht. Anna fällt in ein Koma. Lösung: Durch den Widerruf der Vorsorgevollmacht lebt das Notvertretungsrecht der Ehegatten wieder auf. Nun muss Benno die Entscheidungen über die Gesundheitssorge von Anna treffen. Anna hätte diesem Ergebnis vorbeugen können, indem sie nicht nur die Vorsorgevollmacht von Christin widerruft, sondern gleichzeitig eine neue Vorsorgevollmacht an einen Dritten gibt.
Fazit: Das Notvertretungsrecht der Ehegatten schafft eine neue Möglichkeit für Ehepartner auf plötzliche gesundheitliche Schicksalsschläge zu reagieren. Für eine umfassende Vorsorge (nicht nur in gesundheitlicher, sondern auch in wirtschaftlicher Hinsicht) ist eine Vorsorgevollmacht günstiger und auch weiterhin notwendig.
Diese kann man bei einer differenzierten individuellen Beratung zusammen mit einem Rechtsanwalt ausarbeiten.
Ich berate Sie gerne zum Thema Vorsorge und Erbrecht!
Rechtsanwalt Alexander Grundmann
Grundmann Häntzschel Rechtsanwälte Leipzig
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